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Studie: 9.355 Missbrauchsbetroffene – 3.497 Beschuldigte

Die ersten Ergebnisse der EKD-Missbrauchsstudie sind öffentlich: Die Zahl der Missbrauchsbetroffenen in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen.

Die Diakonie hat Grundsatzregeln zum Umgang mit sexualisierter Gewalt beschlossen
Die Diakonie hat Grundsatzregeln zum Umgang mit sexualisierter Gewalt beschlossenImago / Imagebroker

Die Zahl der Missbrauchsbetroffenen in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer vorgestellten Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsbetroffenen aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Nach Angaben der Wissenschaftler zeigt die Untersuchung nur die “Spitze der Spitze des Eisbergs”. Ausgewertet wurden demnach rund 4.300 Disziplinarakten, 780 Personalakten und rund 1.320 weitere Unterlagen. Zum Vergleich: Bei der MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz 2018 wurden rund 38.000 Personalakten durchgesehen.

Rund 64,7 Prozent der Betroffenen männlich und rund 35,3 weiblich

Weiter heißt es in der Forum-Studie, dass rund 64,7 Prozent der Betroffenen männlich und rund 35,3 weiblich waren. Bei den Beschuldigen handelt es sich demnach fast ausschließlich um Männer (99,6 Prozent). Rund drei Viertel von ihnen waren bei der Ersttat laut Studie verheiratet.

Bei der Schwere der Tat gibt es demnach eine große Spannweite: Bei den meisten Taten handelt es sich aber um sogenannte Hands-on-Handlungen, das heißt, es gab einen Körperkontakt mit den Betroffenen – von nicht notwendigen körperlichen Hilfestellungen im Sportunterricht bis hin zur Penetration.

Fehrs: „Wir haben diese Studie gewollt, wir haben sie initiiert und wir nehmen sie an, mit Demut“

Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs sagte bei der Vorstellung der Studie zur lückenhaften Datengrundlage: „Ich weiß, dass die Forschenden unzufrieden waren und sind. Wir nehmen die Kritik an.“ Es sei klar, dass die evangelische Kirche zu einer einheitlichen Falldokumentation kommen müsse. „Wir haben diese Studie gewollt, wir haben sie initiiert und wir nehmen sie an, mit Demut“, sagte sie.

 

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Die EKD hatte die Studie vor gut drei Jahren für rund 3,6 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Die Forscher sollten alle Landeskirchen sowie die Diakonie mit einbeziehen. Die Studie enthält sechs Teilstudien, in denen Ursachen und Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht werden. Auch Betroffene waren beteiligt. Ziel ist eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren.

Das Forscherteam arbeitet unter dem Titel “Forum – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland”. Koordiniert wird es von dem Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Hannover, Martin Wazlawik.