650 Millionen Euro will die Europäische Union in eine neue Partnerschaft mit Äthiopien einbringen. Ein entsprechendes Abkommen unterzeichnete EU-Kommissarin Jutta Urpilainen Anfang Oktober bei einem Besuch in Addis Abeba, der Hauptstadt des ostafrikanischen Landes. Demnach will die EU damit nicht nur den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft unterstützen, sondern auch zur Festigung des Friedensabkommens für die Konfliktregion Tigray beitragen, das sich am Donnerstag zum ersten Mal jährt.
Einen Tag nach dem Besiegeln der Partnerschaft ließen die europäischen Länder dagegen eine Frist verstreichen, sich im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen für eine weitere Untersuchung der Menschenrechtslage in Äthiopien einzusetzen. „Es ist kaum zu erkennen, welche Botschaft die EU mit diesem Vorgehen an die äthiopische Regierung senden will“, kritisiert die Direktorin für das Horn von Afrika bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Laetitia Bader. Für die Opfer des blutigen Konfliktes zumindest sei es eine fatale Nachricht.
Ende 2020 hatte die EU angekündigt, Partnerschaft und Zahlungen auszusetzen, nachdem im November 2020 ein Machtkampf zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) eskaliert war. In dem zwei Jahre anhaltenden Krieg verübten laut den UN und Menschenrechtsorganisation alle Beteiligten schwere Verbrechen. Schätzungen zufolge wurden 600.000 Menschen getötet und mehrere Millionen Frauen, Männer und Kinder vertrieben.
Auch weil die EU keine entsprechende Resolution einbrachte, wurde das Mandat der UN-Kommission von internationalen Menschenrechtsexpertinnen und -experten nun nicht verlängert. Diese hatte die humanitäre Lage in Äthiopien seit 2021 untersucht und gravierende Missstände angeprangert. Die Expertinnen und Experten forderten, die Verantwortlichen für Ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen.
Neben zahlreichen Organisationen setzten sich vergangene Woche auch die Fachleute selbst dafür ein, ihre Arbeit fortsetzen zu können. „Die in Äthiopien begangenen Gräueltaten haben die Gemeinschaften verwüstet und das Gefüge der Gesellschaft zerstört“, sagte die Menschenrechtlerin Radhika Coomaraswamy, die an den Untersuchungen beteiligt war. Insbesondere die Opfer von Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt würden „noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, unter den Folgen leiden“.
Menschenrechtler werfen der äthiopischen Regierung unter Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed mangelndes Interesse an einer umfangreichen Aufarbeitung der Kriegsgräuel vor. Anfang 2023 drohte das Land sogar damit, sich im UN-Menschenrechtsrat dafür einzusetzen, das Mandat der Fachkommission vorzeitig zu beenden. Damit wären die Veröffentlichung der Ergebnisse und die anschließende Debatte blockiert gewesen. Eine solche erzwungene Beendigung von Untersuchungen hätte einen nie dagewesenen Präzedenzfall dargestellt.
Laut EU-Kommission ist die Initiative für eine Verlängerung nun nicht zustande gekommen, weil die Mitgliedstaaten sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten. Auch während des Konfliktes hatte die Regierung Äthiopiens empört auf vermeintliche Einmischung reagiert, beispielsweise als der damalige finnische Außenminister als Gesandter der EU kritisierte, das Land leugne das Ausmaß des Konfliktes und dessen Folgen.
Statt einer unabhängigen Untersuchung will die Europäische Union ihre Beziehungen zu Äthiopien jetzt schrittweise wieder aufnehmen – und sieht das als Hebel, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Die EU-Kommission teilt auf Anfrage mit, eine vollständige Zusammenarbeit könne es aber erst wieder geben, wenn die Regierung bereit sei, die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen anzugehen.