Yury Kharchenko ist Jude. Seine Vorfahren stammen aus der Ukraine. Er ist in Moskau aufgewachsen, bis er elf war. Danach – Mitte der 90er-Jahre – siedelte seine Familie nach Deutschland über. Heute lebt er in Berlin. Als was er sich am ehesten fühle? „Als Künstler“, sagt er nach kurzem Überlegen.
In seinen Werken setzt sich der 38-Jährige auch mit seiner eigenen Identität auseinander. Am Beginn der Ausstellung, die von Samstag an im Hällisch-Fränkischen Museum in Schwäbisch Hall zu sehen ist, stehen Porträts seiner Urgroßeltern und seiner beiden Großväter. Seine Urgroßmutter Rachel wurde von den Nationalsozialisten umgebracht, sein Urgroßvater Abraham kam im sowjetischen Gulag ums Leben.
Kharchenko spricht das aus, was sich viele nicht trauen: Die Verbrechen des Kommunismus seien in ihrem Ausmaß nicht weniger schlimm als die der Nationalsozialisten gewesen – wenngleich die industrielle Vernichtung der Juden durch die Nazis einzigartig bleibe. Die kommunistische Ideologie habe aber deutlich mehr Todesopfer gefordert als die nationalsozialistische.
Kharchenkos Großväter sind in blutgetränkten Superman-Kostümen vor den Toren von Auschwitz zu sehen. Als Teil der Roten Armee befreiten sie das Konzentrationslager 1945. Kharchenko möchte die Erinnerung an den Holocaust wachhalten, warnt aber zugleich vor einem „Erinnerungszirkus“, wie er ihn nennt.
Für die Juden habe es 1945 eben kein „Happy End“ gegeben, sagt er. Seine Schau spannt den Bogen zur aktuellen Situation in Israel nach dem 7. Oktober 2023. Damals überfielen Mitglieder der islamischen Terrororganisation Hamas friedlich feiernde Israelis. Die Angreifer ermordeten rund 1.200 Menschen, verschleppten mehr als 200 Geiseln. Kharchenko symbolisiert das mit schmelzenden Uhren im Dalí-Stil. Sie stehen für die Monate, die die Israelis bereits verschleppt sind.
Er selbst sehe Israels Premier Benjamin Netanjahu durchaus kritisch, sagt Kharchenko. Aber in den aktuellen Debatten gehe es immer seltener um Kritik an Israel oder „gar eine Lösung im Gaza-Streifen“. Vielmehr würden alte Vorurteile gegen Juden bedient, wie das, dass sie das gesamte Finanzwesen in ihren Händen hätten. Kharchenko: „Es ist wieder in Mode gekommen, Juden zu hassen. Vieles erinnert an die 30er-Jahre.“