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„Es ist der Wald wie eine Kirche“

Menschen lieben es, Gott und den Baum zu verbinden. Ein mecklenburgischer Adelsherr sah um 1850 gar in einem Stück Buchenwald eine Kirche. Was führte den Christen-Gott bis in den Wald?

Ich stehe inmitten der Heiligen Hallen – dem ältesten Buchenwald Deutschlands in der Feldberger Seenlandschaft in Mecklenburg. Ich möchte dem Mythos Wald auf die Schliche kommen. Denn es muss ja was dran sein, wenn Menschen Begriffe wie „heilig“ anwenden, um eine Baumgruppe zu beschreiben.

Staunend soll genau hier um 1850 der Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz gestanden haben, erzählt Katja Powils. Sie leitet im Forstamt Lüttenhagen das Waldmuseum „Lütt Holthus“. Der Adelsherr, sagt sie, muss von den schlanken Stämmen so fasziniert gewesen sein, dass er zu Feder und Tinte griff und seine Überwältigung in ein Gedicht bannte. 

Groß ist, zugegeben, meine Enttäuschung. Denn ringsum sehe ich mehr Urwald als Kirche. Eine bizarre Landschaft aus abgeknickten Bäumen und totem Holz. Wer hat diese Kirche zerstört?

„Die Zeit“, sagt Katja Powils. „Zur Zeit des Großherzogs waren die Bäume 200 Jahre alt und 50 Meter hoch. Sie hatten ihren optimalen Stand.“ Ihre geraden silbergrauen Stämme wirkten wie schlanke Säulen; die Kronen bildeten das Gewölbe. So entstand der Eindruck einer Halle. 

Nicht nur der Großherzog sah den Wald als Kirche. Als Ort der Gottesnähe machte er im 19. Jahrhundert Karriere. Doch das Verhältnis des Christentums zum Baum ist wechselvoll. Egal, ob Griechen, Römer, Kelten, Slawen oder Germanen – sie alle verehrten Bäume mit religiöser Hingabe. Der Historiker Alexander Demant beschreibt in seiner Abhandlung „Über allen Wipfeln“ unzählige Beispiele der engen Verflechtungen von Glaube und Baum: sei es der kaiserliche Lorbeer in Rom oder der keltische Donnergott Taranis, der in einer Eiche wohnt.

Mit der Missionierung jedoch musste so mancher Baum „dran glauben“. Mit heidnischer Götzen-anbetung sollte Schluss sein – auch Bäume machten da keine Ausnahme. Der ohnehin fürs Teilen bekannte Bischof Martin von Tours beispielsweise zerteilte entschlossen die Stämme von Götterbäumen. Kirchenvater Sulpicius Severus beschreibt, wie der Glaubensstreiter um 380 in Gallien heidnische Kultstätten in christliche umwandelt und dabei auch eine Fichte schlagen lässt. „Bist du wirklich ein Gottesmann, dann fängst du den Baum mit der Hand auf, wenn wir ihn fällen“, protestierten die Gallier. „Martin erhob die Hand zum Segen, da fiel der Baum – o Wunder! – in die Gegenrichtung und hätte fast einige Bauern erschlagen“, so Demant. Auch Nikolaus von Myra soll selbst zur Axt gegriffen haben, um den „unsauberen Geist“ einer Baumgöttin aus einer Zypresse zu schlagen.

Jedoch nicht alle Götterbäume fielen. Otto von Bamberg ließ bei seinen Missionsreisen in Pommern 1128 auf Bitten der Dorfbewohner eine Eiche stehen, die als Wohnort einer Gottheit verehrt wurde. Er verbot jedoch das Befragen der Zukunft durch Loswurf.

Aber nicht nur die katholische Kirche dämonisierte altheilige Bäume. Luther bezeichnete die Bäume zweier Wallfahrtsorte, in denen Maria erschienen war, als „Teufels Herberge“. Und Gustav Adolph zu Mecklenburg verlangt noch 1683, einen Schlehenbaum am Kloster Heiligengrabe bei Pritzwalk zu fällen, an dem „heidnische Riten“ vollführt würden.

In Irland hingegen gab es diesen „missionarischen Dendroklasmus“ nicht. Kirchen und Klöster setzen heidnische  Lokaltraditionen fort. Jeder der drei Patrone Irlands bekam einfach einen Baum zugeordnet, St. Patrick die Eibe. Wo also der Baumkult nicht zerstört wurde, deutete die Kirche ihn um.

Hundert Jahre später ist die religiöse Deutung von Naturschönheit salonfähig. 1785 stellte James Hall die Behauptung auf, dass Architekten gotischer Kirchen von Buchenhallen inspiriert waren, wie Simon Schama in „Der Traum von der Wildnis“ beschreibt. Und Goethe fühlt sich im Straßburger Münster an die „Schönheit der Bäume Gottes“ erinnert, an die „schlank aufsteigende Buche“. Und Georg Graf zu Münster (1776- 1884) dichtet: „Es ist der Wald wie eine Kirche, drum geh’ mit Andacht Du hinein“.