Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU, Foto) ist Mitglied im Präsidium des Kirchentags. Zum Abschluss des Protestantentreffens sprach er mit Corinna Buschow und Thomas Schiller über einige der großen politischen Themen in Stuttgart: Flüchtlingspolitik, Kirchenasyl und Homo-Ehe. Wegen ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung sollten, so de Maizière, solche kirchliche Großveranstaltungen auch weiterhin öffentliche Unterstützung erfahren. Dafür müssten die Kirchen werben.
☐ Einer der Punkte, um die Staat und Kirche streiten, ist das Kirchenasyl. Vor drei Monaten haben Sie darüber einen Kompromiss mit den Kirchen zur besseren Kommunikation ausgehandelt, der sich über sechs Monate bewähren soll. Was sind die Erfahrungen?
Die Pilotphase bis zum Herbst möchte ich gern abwarten, bevor wir, falls erforderlich, weitere Entscheidungen treffen. Auf dem Kirchentag wurde die Forderung laut, das Kirchenasyl klar zu regeln. Das wollen wir nicht, denn es gibt Situationen der angewandten Barmherzigkeit, die man nicht vorher in abstrakte Rechtsätze fassen kann. Wir sind gut beraten, eine Tradition zu erhalten, bei der man nicht ganz genau fragt, was jeweils die rechtliche Begründung ist – im Interesse einzelner Fälle.
☐ Sie haben in Stuttgart noch einmal betont, dass die EU-Asyl-Regelung, das so genannte Dublin-System, so nicht mehr funktioniert. Es gibt partielle Verbesserungsvorschläge, aber noch keinen großen Wurf…
Wir können nicht abwarten, sondern müssen jetzt handeln. Dublin ist geltendes Recht. Darauf müssen wir bestehen. Die Akzeptanz bröckelt aber. Deswegen ist es richtig, über Verbesserungen und neue Wege nachzudenken. Wir brauchen eine europäische Lösung mit Blick auf Drittstaaten, Transitstaaten, Lebensrettung, Schlepperbekämpfung sowie Aufnahme und Verteilung. Ohne diese ist auf Dauer die EU-Freizügigkeit nach dem Schengener Abkommen gefährdet. In einem europäischen Asylsystem muss es um Solidarität gehen. Das kann kein Staat alleine lösen.
☐ Haben Sie denn inzwischen eine Idee für eine Alternative zum Dublin-Abkommen?
Es gibt nicht so viele Varianten. Eine wäre freies Wahlrecht im Zugang nach Europa und innerhalb Europas. Dafür wären die Zahlen viel zu hoch, und dafür wird es nie eine Mehrheit in Europa geben, auch nicht in Deutschland – weder in der Politik noch in der Gesellschaft. Dann gibt es den Vorschlag der Verteilung. Den unterstütze ich. Wenn eine Verteilung kommt und die europäische Flüchtlingspolitik dadurch gerechter wird, müssen sich die jetzigen Dublin-Kritiker aber auch klarmachen, dass eine Verteilung durch- und umgesetzt werden muss. Ich möchte dann nicht die gleichen Argumente gegen die Durchsetzung der Verteilung hören, die jetzt gegen Dublin vorgetragen werden.
☐ Die EU-Kommission hat kürzlich einen Vorschlag zur Verteilung von Flüchtlingen vorgelegt, darunter 20 000 zur dauerhaften Ansiedlung aus Staaten wie Syrien und Eritrea. Können Sie zusagen, dass die Bundesrepublik sie aufnimmt – egal, wie sich Staaten wie Großbritannien oder Polen dazu verhalten, die eine Quote bislang ablehnen?
Ja, wir würden uns an der Aufnahme beteiligen, welche Verteilquote auch immer gilt. Unser Ziel bleibt aber eine europäische Lösung. Dafür muss der Druck aufrechterhalten werden.
☐ Ein anderes Thema auf dem Kirchentag war die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe. Wie ist Ihre Haltung?
Wir sollten noch bestehende Diskriminierungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften weiter beseitigen. Das bedeutet aber keine Gleichstellung mit der Ehe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ehe die Verbindung von Mann und Frau. Das bedeutet: Wenn man es ändern wollte, wird es nicht mit einem einfachen Gesetz gehen. Da wird man wohl eine Grundgesetzänderung brauchen. Und das wirft ganz andere Fragen auf. Das will ich zu bedenken geben.
☐ Der nächste Kirchentag wird zum 500. Reformationsjubiläum 2017 in Berlin und Wittenberg stattfinden. Wie blickt die Bundesregierung auf das Jubiläum?
Es passiert insgesamt unglaublich viel. Die Ressorts fördern das. Wir müssen aber auch beobachten, dass die Kritik in Städten und Ländern zunimmt, Veranstaltungen wie Kirchentage, Katholikentage und auch das Reformationsjubiläum mitzufinanzieren. Nicht nur die öffentlichen Träger, sondern auch der Kirchentag und die Kirchen müssen klar sagen, warum es der Allgemeinheit nutzt, solche Veranstaltungen zu machen. Da können die Kirchen noch deutlicher werden. Wir müssen die Parlamente, die Regierungen, die Steuerzahler davon überzeugen.
☐ Was spricht für die Unterstützung?
Großveranstaltungen wie Kirchentage oder das Reformationsjubiläum bieten eine sehr gute Chance für den Dialog mit den Religionen. Die politische Rolle der Religionen haben wir massiv unterschätzt, im Grunde in ganz Europa. Wir müssen diskutieren, wo die Rolle, aber auch die Grenzen der Einflussnahme der Religionen auf die Politik liegen – wo Religion heilend, aber auch zerstörend wirken kann. Das kann man an kaum einem Beispiel besser diskutieren als an der Reformation, von der Selbstreinigung der Kirche bis zu den Verwüstungen des 30-jährigen Kriegs. Wenn es gelingt, die heilende Rolle von Religion für die Gesellschaft zu stärken und noch dazu einen ökumenischen Impuls zu geben, dann ist jeder Euro in das Reformationsjubiläum gut angelegt.