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Erst machen, dann mahnen

Wie schaffen Kirche und Gesellschaft den ökologischen Wandel? Volker Rotthauwe rät dazu, mit gutem Beispiel voranzugehen

Volker Rotthauwe ist Leiter des Fachbereichs „Umwelt und Soziales“ im Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Landeskirche. Er selbst bezeichnet sich lieber als Umweltpfarrer, um den Schwerpunkt seiner Stelle zu verdeutlichen. Am Ende seiner Berufszeit blickt er im Gespräch mit Anke von Legat zurück auf sein Engagement für Umwelt, Klima und soziale Gerechtigkeit.

 

Was genau macht ein Umweltpfarrer?
Volker Rotthauwe: Kurz gesagt geht es um die Frage, wie wir Kirche und Gesellschaft ökologisch nachhaltiger und sozialer gestalten können. Dafür setze ich mich als Umweltpfarrer ein, gemeinsam mit dem Team des Fachbereichs Umwelt und Soziales im Institut für Kirche und Gesellschaft. Da arbeiten Fachleute, die Kenntnisse aus ganz unterschiedlichen Bereichen mitbringen, von Naturwissenschaften bis zur Pädagogik. Denn zum einen geht es darum, Konzepte zu entwickeln, wie Kirche und Gesellschaft sich ökologisch, sozial und ökonomisch verändern kann, und das beispielhaft auch umzusetzen. Zum anderen müssen die Grundlagen nachhaltigeren Handelns ja auch vermittelt werden, etwa in der Bildung.
 
Im Bereich Umwelt und Klima gibt es ja inzwischen zahlreiche Organisationen – was hat die Kirche dazu zu sagen?
Mir war es immer wichtig, dass wir als Kirche eine eigene, spezifische Tradition haben und nicht in unseren Stellungnahmen nur das wiederholen, was andere sagen, und dabei das  Wort „Umwelt“ durch „Schöpfung“ ersetzen.
 
Und wie hört sich diese besondere kirchliche Stimme an?
Wir schauen natürlich von der Bibel her auf die Welt, als Schöpfung Gottes, die wir bewahren sollen. Aber wenn wir uns als Kirche zum Thema Nachhaltigkeit äußern, sollte das, was wir fordern, auch mit unserem Handeln übereinstimmen. In einem Impulspapier der EKD von 2018 – „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ – heißt es, Kirche solle Mahnerin, Mittlerin und Motor sein. Ich finde es sinnvoller, das umzudrehen: Kirche muss als erstes Motor sein, also Dinge selbst anstoßen; dann kann sie auch ganz praktisch zum Beispiel in „runden Tischen“ in gesellschaftlich strittigen Fragen vermitteln und andere zu mehr Umweltschutz ermahnen im Sinne einer freundlich-bestimmten Aufforderung.
 
Was tut Kirche denn praktisch für den Umweltschutz?
Sie ist in allen Bereichen der Schöpfungsbewahrung unterwegs und in vielen Bereichen mit Projekten, Beratung und Bildungsarbeit aktiv. Vom Artenschutz rund um den Kirchturm bis zu den Friedhöfen, über nachhaltiges Gebäudemanagement, dem  öko-fairen Einkauf oder der nachhaltiger Gemeindeentwicklung bis hin zum Westfälischen Schöpfungspreis oder einer nachhaltigen regionalen Kreislaufwirtschaft.
Allerdings gibt es auch noch viel zu tun: Es gibt beispielsweise viel zu wenig Photovoltaik-Anlagen auf Kirchengebäuden. Ich wünsche mir in Zukunft auch die Gründung von kirchlichen Energiegenossenschaften, mehr ökologisch verpachtetes Kirchenland oder auch Beispiele für solidarische Landwirtschaft auf Kirchenpachtland.

Wie funktioniert das?
Das Projekt „Land ist Leben in Nord und Süd“, das wir im Kreis Steinfurt gemeinsam mit der JuBi Nordwalde und Partnerkirchen in Namibia und Simbabwe durchführen, macht das deutlich: Es geht um die eine ökologische, nachhaltige Landwirtschaft und um die Vermarktung und Verarbeitung der Produkte in der Region. Kirche ist hier sowohl „Motor“ als auch „Vermittler“ und selbst auch wichtiger Verbraucher vor Ort. In dem Projekt ist auch der Austausch mit den Menschen in den Partnerkirchen im globalen Süden sehr wichtig. Es hat sich gezeigt, dass es hier wie dort Lebensmittelverschwendung gibt: Bei uns werden viele bereits gekaufte Lebensmittel weggeworfen; in den afrikanischen Staaten verdirbt vieles, bevor es überhaupt in den Verkauf kommt. Da können wir voneinander lernen, regionale Kreislaufwirtschaft mit weniger Lebensmittelverschwendung zu organisieren.
 
Welche Projekte haben Sie besonders gern angestoßen und begleitet?
Mir lagen besonders alle Projekte am Herzen, die die alten biblischen Traditionen einer „Ethik des Genug“ aktualisiert haben wie zum Beispiel das Klimafasten, zu dem wir seit 2015 in der Fastenzeit aufrufen. Mir persönlich hat auch das Projekt Kirchenrad viel Spaß gemacht: Das ist ein E-Bike, das wir für Gemeinden und Pfarrerinnen und Pfarrer entwickelt haben und mit Förderung der Landeskirche als Dienstfahrzeug anbieten. Die Auswertung hat ergeben, dass die, die es nutzen, damit rund 30 Prozent CO2-Ausstoß einsparen und dabei auch etwas für den Gemeindeaufbau und ihre Gesundheit tun.

Haben Sie ein Lieblingsprojekt?
Eins meiner Lieblingsprojekte ist der ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit. Unter dem Motto „Geht doch!“ machen sich seit 2015 Gruppen auf den Weg, um für das Thema Klimagerechtigkeit zu sensibilisieren. Sie verbinden die Orte der UN-Klimakonferenzen und laufen wie im letzten Jahr die rund 1700 Kilometer von Polen nach Glasgow.  Es passiert ganz viel, wenn Menschen lange Strecken zusammen wandern und dabei miteinander und mit Menschen auf dem Weg ins Gespräch kommen.

Worüber wird da geredet?
Die Themen ergeben sich durch die Pilgerroute: In der Lausitz ist es der Braunkohle-Tagebau, in anderen Gegenden die Landwirtschaft oder die Atomkraft. Unterwegs werden Schmerzorte und Kraftorte aufgesucht, Gottesdienste gefeiert und Informationsveranstaltungen organisiert. Und die Übernachtung in den Gemeinden hat etwas sehr Ursprüngliches: Gemeinde erlebt sich als Herberge für Menschen auf dem Pilgerweg.
Die nächste Klimakonferenz findet im November 2023 in Ägypten statt; vielleicht kann der Klimapilgerweg dorthin sogar mit anderen Religionen zusammen organisiert werden. Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn Kirche mit solchen Aktionen zur Nachhaltigkeit aufruft, findet das große öffentliche Resonanz.
 
Haben Sie auch theologische Entdeckungen gemacht in Ihrer Zeit als Umweltpfarrer?
Ja, ich habe gelernt, die Bibel noch einmal mit ganz anderen Augen zu lesen. Wenn es dort um Landwirtschaft und Lebensmittel geht, heißt das wirklich: Es geht um „Mittel zum Leben“ und nicht um Fleisch-„Produktion“ und Massentierhaltung. Auch auf die Rolle der Tiere in der Bibel bin ich neu aufmerksam geworden, unter anderem durch meine Zusammenarbeit mit dem Institut für theologische Zoologie in Münster. Mir ist noch klarer geworden: Tiere sind gesegnete Geschöpfe Gottes mit einer eigenen „Gottunmittelbarkeit“, wie es Rainer Hagencord, der Gründer des Instituts, einmal ausgedrückt hat. Die Erzählung von Bileams Eselin im 4. Buch Mose hält beispielsweise diese Erinnerung wach: Das Tier erkennt den Engel, die Gegenwart Gottes lange vor seinem Reiter. Ich wünsche mir eine neue kirchliche Ethik für den Umgang mit den Tieren und mit unseren Nahrungsmitteln.
 
Sind Sie selbst daraufhin Vegetarier geworden?
Eine Zeitlang haben wir in der Familie vegetarisch gelebt, angestoßen durch unsere Tochter. Inzwischen esse ich wieder Fleisch, aber sehr selten und natürlich nur aus ökologischer, artgerechter Haltung. Auch für mich gilt also dieses Auseinanderklaffen von Wissen und Tun, das uns Veränderungen so schwer macht. Denn eigentlich wissen wir ja alles über Umweltzerstörung, Klimawandel und globale Ungerechtigkeit. Wir müssen jetzt nur noch konsequenter handeln, sowohl als Individuen und auch als Kirche.
 
Wie kann man diesem Problem, dass Wissen, Wollen und Handeln so häufig auseinanderklaffen, begegnen?
Wir arbeiten nach den Prinzipien einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, abgekürzt BNE. Dabei geht es darum, nicht zu „belehren“, sondern gemeinsam mit den Menschen vor Ort in den Gemeinden und im Stadtteil Projekte zur Stärkung der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zu entwickeln, damit diese Welt für alle Menschen auf dem Globus auch in Zukunft lebenswert bleibt oder erst wird. Diese Vernetzungen vor Ort und weltweit sind dabei ganz wichtig. Es geht um „Ökoroutine“ und weniger um moralische Zeigefinger.
Gott sei Dank hat sich innerhalb der kirchlichen Strukturen in den letzten zwei bis drei Jahren einiges getan, initiiert unter anderem auch durch die Klimastreiks der Friday-for-Future-Bewegung, an denen wir uns auch als Kirche beteiligen. So gibt es mittlerweile in fast in allen westfälischen Kirchenkreisen Umweltbeauftragte, die sehr engagiert arbeiten. Und das „Klimaversprechen“ von Präses Annette  Kurschus auf dem Kirchentag in Dortmund 2019 war ebenfalls eine wichtige Initialzündung. Ich würde mich sehr freuen, wenn all dieses Engagement in einem Klimagesetz der EKvW münden würde.

Wird Ihre Stelle wieder besetzt, nachdem Sie in den Ruhestand gegangen sind?
Ja. Mein Nachfolger steht bereits fest und die Arbeit geht, sicherlich mit neuen Impulsen, weiter. Und auch ich werde mich im Ruhestand als Umweltbeauftragter des Kirchenkreises Münster weiter für den Klimaschutz engagieren. Und vielleicht klappt es ja auch noch mit der vollständigen Umstellung auf vegetarische Ernährung – manches braucht eben seine Zeit.
 
Informationen zum Klimaschutz in der westfälischen Landeskirche: www.kircheundklima.de