BIELEFELD – Zu einer internationalen Pfarrerbegegnung luden die Evangelische Kirche von Westfalen und die Evangelische Kirche am La Plata (IERP) nun schon zum vierten Mal ein. Derselbe Beruf, ein gemeinsames Thema, aber ein anderes Umfeld und andere Herausforderungen – das macht den Reiz einer solchen Begegnung aus. Neun südamerikanische und sieben deutsche Pfarrerinnen und Pfarrer trafen sich zu kollegialem Austausch über Migration und Identität.
Migration – Thema in beiden Kirchen: Nicht erst seit dem Sommer 2015 ist Migration in Deutschland ein Thema. Die Frage nach der Identität der Deutschen und der Rolle der Kirche in den damit einhergehenden Veränderungsprozessen stellte sich 1945 durch die Flüchtlinge, später durch die Russlanddeutschen, die Gastarbeiter und Zuwanderer aus vielen Nationen, den Mauerfall. Auch in Argentinien, Paraguay und Uruguay ist das Zusammenleben mit Zugewanderten aus den Nachbarländern nicht spannungsfrei. Und die Evangelische Kirche am La Plata, die auf deutsche Auswanderer zurückgeht, fragte sich lange: Wie deutsch wollen wir heute noch sein, und wo ist unser Platz in der südamerikanischen Gesellschaft?
Bei von den Teilnehmenden organisierten Projektbesuchen kam es zu Begegnungen, wie in Lünen mit Flüchtlingen und Sozialarbeitern, im Glaubensgarten auf der Landesgartenschau in Bad Lippspringe mit Vertretern von sieben Religionen und Konfessionen. Beim Besuch einer Bielefelder Moschee wurde spontan eine Einladung zum nächtlichen Fastenbrechen ausgesprochen – und angenommen.
Die Pfarrerinnen und Pfarrer hatten einander viel zu berichten: Wie lebt es sich mit afghanischen Flüchtlingskindern in der eigenen Familie? Wie kommen junge Flüchtlinge in der Berufsschule zurecht? IERP-Generalsekretärin Sonia Skupch, die das Kolleg zusammen mit MÖWe-Pfarrerin Kirsten Potz leitete, stellte die aktuellen Herausforderungen für Staat und Kirche in Argentinien dar. Argentinische Kollegen zeichneten die Geschichte der La Plata-Kirche (IERP) nach und wie sich die Feier der Gottesdienste im Lauf der Jahrzehnte in der neuen Heimat veränderte. Pfarrer Christian Stephan aus der IERP, der für zwei Jahre in Westfalen arbeitet, bemerkte: „Sprache lernen, sich an die deutschen Sitten anpassen – das soll hier ganz schnell gehen. Bei uns hat das über 100 Jahre gedauert.“ Lange Zeit war evangelisch am La Plata gleichbedeutend mit deutsch. Erst heute ist der Gebrauch der spanischen Sprache für die Deutschstämmigen selbstverständlich. Es machte die Deutschen nachdenklich, wieviel Zeit Integration braucht. Das Eigene bewahren und die Wurzeln behalten, zugleich sich einlassen auf das Fremde und Neue – das ist ein langer, aber lohnender Weg, auf dem unterschiedliche Denk- und Lebensmuster zu einer neuen Kultur verwachsen. Wie dieser Prozess aktuell in Westfalen verläuft, mal als Mit-, mal als Nebeneinander mit fremdsprachigen Neubürgern, schilderten als Gastreferenten MÖWe-Pfarrerin Beate Heßler und Pfarrer Felix Klemme, der die iranische Gemeinde in Paderborn vorstellte.
Exkursion nach Thüringen: Im Reformationsjahr durfte eine Exkursion zur Wartburg und zum Augustinerkloster in Erfurt nicht fehlen. In Erfurt kam es auch zu Gesprächen über die Rolle der Kirche im Wiedervereinigungsprozess und die Kirche im Osten Deutschlands heute. Pfarrer Holger Kaffka und Pfarrerin Tabea Schwarzkopf erzählten von den Freiräumen, die ihnen als Jugendlichen in der DDR nur die Kirche bieten konnte. Die Gäste fragten nach der Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern. Kaffka: „Ich spreche lieber von Fremdenfeindlichkeit.“ In strukturschwachen Gebieten werden Neuankömmlinge als Bedrohung empfunden und Flüchtlinge und Migranten zu Sündenböcken gestempelt. „Angst ist ganz normal, aber man kann sie überwinden, und unsere Gemeindearbeit trägt hoffentlich dazu bei“, so Kaffka.
Sonia Skupch stellte am Ende fest: „Erst in der Begegnung und im Dialog mit dem Anderen erkenne ich mich selbst und gewinne meine Identität. Das gilt wohl für jede Begegnung, ob zwischen Pfarrern aus zwei Kirchen oder Flüchtlingen und Einheimischen. Wie gefährlich ist es für eine Gesellschaft, wenn sie unter sich bleibt?“, fragte sie und ermutigte, die Migrationsbewegungen auch als Segen zu sehen.
„Der Reformationstag kommt noch, aber für mich war dieses Begegnungskolleg schon das Reformationsfest“, hielt ein Teilnehmer am Ende fest. Zehn Tage lang war in Referaten und Projekten, bei Andachten und Bibelarbeiten zu spüren, wie evangelische Freiheit und Verantwortungsbewusstsein sich in Kirche und Gesellschaft auswirken – in Deutschland und am La Plata. kp
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Erst in der Begegnung erkennt man sich selbst
Zuwanderung, Migration, sich anpassen an neue Kultur und andere Sitten? Die deutschen Auswanderer, die in Südamerika die Evangelische Kirche am La Plata gründeten, haben da Erfahrungen. Eindrücke von einer Pfarrerbegegnung
