Pfingsten in den USA – ich bin eingeladen in der Gemeinde St. John UCC in Indianapolis in Indiana, ein Bundesstaat mit starker deutscher Einwanderung. Indianapolis ist seine Hauptstadt. Heute soll ich ein Grußwort aus Westfalen überbringen. Seit über 25 Jahren sind die Evangelische Kirche von Westfalen und die United Church of Christ (UCC) in den USA partnerschaftlich verbunden.
Die liturgische Farbe an diesem Sonntag ist rot. Viele Gemeindemitglieder tragen ein rotes T-Shirt, eine rote Hose, rote Socken oder ein rotes Jackett. Mit einem verschmitzten Lächeln kommt die 90-jährige Rosi auf mich zu. „Where is your red?“ Ich bin ganz in Blau gekleidet und mein verlegenes „sorry“ akzeptiert sie nicht. Schon hängt sie mir eine rote Kette um. Tradition ist Tradition und nun bin auch ich angemessen gekleidet.
Der Pfingstsonntag wird in den USA als besonderer Tag wahrgenommen. Die überwiegende Mehrheit der nordamerikanischen Christen feiert Gottesdienst am Morgen. Und an keinem anderen Ort kann man die kulturelle, soziale und ethnische Trennung deutlicher erleben als im sonntäglichen Gottesdienst. Hier feiern Lutheraner mit Lutheranern, Baptisten mit Baptisten, Pfingstler mit Pfingstlern, Weiße unter Weißen und Schwarze gehen in ihre überwiegend schwarzen Gemeinden.
Segregation, Trennung zwischen Schwarzen und Weißen, das war für viele Jahrzehnte Realität in den USA, obwohl Afroamerikaner durch einen Beschluss des Obersten Gerichtshofs der USA ab 1896 mit Weißen gleichgestellt waren. Der Beschluss war zugleich fatal. „Separate but equal“ – getrennt aber gleich sollten sie in den Städten und Dörfern leben. Trotz Gleichheit vor dem Gesetz gab es also keine wirkliche Gleichheit im alltäglichen Leben – ganz im Gegenteil.
In den 1950er Jahren, als Martin Luther King jr. seinen Kampf für die Bürgerrechte seiner schwarzen Brüder und Schwestern begann, gab es getrennte Toiletten, getrennte Wartesäle in den Bahnhöfen und in den Bussen mussten die Schwarzen hinten sitzen, auch wenn vorne noch Plätze frei waren. Das führte 1955 zu dem berühmten Montgomery-Bus-Boykott. Rosa Parks hatte sich geweigert, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen. Daraufhin war sie verhaftet worden. Dieser Busstreik gilt allgemein als der Anfang der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, die von dem Baptistenpfarrer aus Atlanta sowie der Southern Christian Leadership Conference angeführt wurde.
Wenn man über King spricht, muss man auch über Sklaverei, den amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65, über Rassentrennung, den Ku-Klux-Clan, über Gewalt, Mord und Hass, die Underground-Railroad nach Kanada und das Wahlrecht für Schwarze sprechen. Sein Kampf für Gerechtigkeit hatte zwei starke Wurzeln – den christlichen Glauben und das Prinzip des gewaltfreien Widerstandes. Das machte seinen Kampf so erfolgreich.
In seiner berühmten „I have a dream“-Rede träumte King von einer erfolgreichen Integration der Schwarzen in die weiße US-Gesellschaft. Gehalten hat er die Rede im Jahr 1963. 1964 bekam er den Friedensnobelpreis. Nur vier Jahre später wurde er in Memphis/Tennessee ermordet.
In Atlanta wird sein theologisches und politisches Erbe verwaltet. Ich bin zu Besuch im King Center direkt neben der Ebenezer Baptist Church, wo schon sein Vater gepredigt und wo auch King selbst als Pastor gearbeitet hat. King war nicht nur ein politischer Aktivist, sondern auch ein begabter Redner und Prediger.
Und wie geht die Ebenezer Baptist Church mit seinem Vermächtnis heute um? – Im Sonntagsgottesdienst am „Memorial Day“ konnte ich das selbst erleben. Memorial Day ist ein Gedenktag zu Ehren der im Krieg Gefallenen. Gilt das auch für die schwarzen Armeeteilnehmer? Im Prinzip ja. In der Ebenezer Baptist Church predigte an diesem Sonntag Robert E. Lee IV, der Großneffe des berühmten Generals Robert E. Lee, der für die Südstaaten im US-Bürgerkrieg gekämpft hatte.
General Lee kam aus einer wohlhabenden Plantagenbesitzerfamilie und hatte von seinem Onkel 50 Sklaven „geerbt“. Und nun steht sein Großneffe in einer Kirche der afroamerikanischen Bevölkerung und setzt sich vehement für die gesellschaftliche, ökonomische und politische Gleichberechtigung der unterprivilegierten schwarzen Bevölkerung in den USA ein. Doch es geht nicht nur um Mentalitäten, sondern immer auch um den strukturellen Rassismus, der bis heute in der US-Gesellschaft verankert ist.
Kings Kampf für Bürgerrechte war auch immer ein Kampf für soziale Gerechtigkeit, für das Recht auf Arbeit, Wohnung, Bildung und einen gerechten Lohn. Heute im Jahr 2018 können Schwarze in den USA nur dann wählen, wenn sie in den Wählerlisten registriert sind. In den schwarzen Stadtteilen sind die öffentlichen Schulen miserabel ausgestattet. Die Zahl der Arbeitslosen unter Schwarzen ist höher als unter weißen US-Amerikanern. Nur etwa acht Prozent der schwarzen US-Amerikaner haben weiße Freunde. Polizeigewalt und Willkür bei der Verhaftung von Schwarzen und ein Präsident, der sich weigert, rassistische Übergriffe zu verurteilen, gehören zum Alltag. Kings Kampf für Gerechtigkeit muss also weitergehen, wenn sich sein Traum erfüllen soll.
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Erfüllte und unerfüllte Träume
Der Kampf gegen Rassismus ist auch 50 Jahre nach der Ermordung von Martin Luther King aktuell
