Es gibt eine Welt vor und eine nach der Erfindung von CRISPR. So zumindest sieht es der Würzburger Molekularbiologe Jörg Vogel. Hinter der Abkürzung verbirgt sich eine neue Methode der „Gen-Chirurgie“. Gemeint sind damit operative Eingriffe in jedes Erbgut, in das menschliche insbesondere mit dem Ziel, genetische Defekte zu beheben.
Nach Überzeugung vieler Wissenschaftler wird das die Welt tiefgreifend verändern. Forschungsergebnisse zeigen ein „immenses Veränderungspotenzial“, konstatierte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock. Der Rat befasste sich jetzt auf seiner Jahrestagung in Berlin mit Chancen und Risiken des neuen Verfahrens.
Universalschere mit Potenzial und Risiken
Gerade mal vor vier Jahren entdeckten zwei Wissenschaftlerinnen, dass zelleigene Reparaturmechanismen bei Bakterien dazu genutzt werden können, um Informationen präzise aus dem Erbgut herauszuschneiden oder in das Erbgut einzufügen. „Ein ganz neues und universelles Werkzeug, mit dem wir eigentlich jeden Organismus, den wir in die Hand nehmen, verändern können“, meint Vogel. Er sieht ein „enormes Innovationspotenzial“ sowohl für die Grundlagenforschung als auch für Pflanzen- und Tierzüchtung sowie Medizin.
Es gebe keine wichtige Nutzpflanze, an der nicht mit CRISPR geforscht wird, so der Wissenschaftler. Dabei hinterlässt der Eingriff keine Spuren: Eine schädlingsresistente Kartoffel unterscheidet sich nicht von einer klassisch gezüchteten. Zudem übertragen sich Veränderungen im Erbgut etwa bei Mücken schon in zwanzig Generationen auf die ganze Population – zumindest im Labor. Feldversuche stehen noch aus.
Ob ein Ende der Rattenplage in Australien oder ein Sieg über Malaria oder Dengue-Fieber, die Erwartungen sind hoch. Besonders in der Humanmedizin. Wissenschaftler erwarten ganz neue Gentherapien, etwa gegen HIV-Aids oder Krebs. Hinzu kommt: Die Methode ist einfach, präzise, effizient und kostengünstig.
Soweit die Erwartungen. Doch birgt das Verfahren hohe Risiken und wirft weitreichende soziale, ethische und rechtliche Fragen auf. Das gilt zumal, wenn es um Eingriffe in die menschliche „Keimbahn“ geht, also Einfluss genommen wird auf den Verlauf der Zellentwicklung von der befruchteten Eizelle hin zu den Keimzellen eines neuen Individuums. Denn sie verändern das Erbgut auch aller Nachkommen. Mit diesem Problem beschäftigte sich die Jahrestagung vor allem.
Für den Ethiker und evangelischen Theologen Wolfgang Huber kommt es bei der Bewertung der Gentherapien wesentlich darauf an, wie klar Wirkungen eingegrenzt werden können. „Fehlerarme Eingriffe zur Heilung oder Vermeidung von Krankheiten“ seien „moralisch zu rechtfertigen“, soweit sie auf das Individuum begrenzt bleiben. Bei Keimbahninterventionen forderte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland hingegen ein internationales Verbot, solange langfristige Folgen nicht ausgeschlossen werden könnten. Ein zeitlich begrenztes Moratorium greift für ihn zu kurz, zumal auch die Rechte künftiger Generationen auf dem Spiel stünden.
Ferner verlangte Huber, bei den Zielen der Eingriffe zu unterscheiden: Dienen sie der Heilung oder der genetischen Perfektionierung? Die denkbaren Anwendungen reichen vom Gendoping bis zur Schönheitschirurgie. Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff sieht dabei in der „Natürlichkeit“ eine moralische Grenze, weil sie „vor einer genetischen Fremdbestimmung durch Dritte schützt“. Es gebe „ein Recht auf genetischen Zufall“, so der katholische Wissenschaftler. Nach Hubers Worten gehört es zur Unverfügbarkeit der menschlichen Identität, dass der Mensch nicht nach einem von anderen „entworfenen Bauplan konstruiert und produziert wird“.
Forschung an menschlichen Embryonen verboten – noch
Das Embryonenschutzgesetz verbietet in Deutschland Veränderungen der menschlichen Keimbahn. Der Heidelberger Medizinrechtler Jochen Taupitz wies aber darauf hin, dass die 26 Jahre alte Regelung „erhebliche Unklarheiten und Lücken“ hat. Mit einer raschen Reform rechnet Taupitz allerdings nicht. Den Grund dafür nannte indirekt Huber. Angesichts umstrittener Forschungen in China und Großbritannien an menschlichen Embryonen äußerte er die Hoffnung, dass der Grundsatz, Embryonen nicht zu Forschungszwecken herstellen zu dürfen, in Deutschland bestehen bleibt. Genau dieser Grundsatz ist aber inzwischen auch in Deutschland umstritten.