In der Debatte um zurückgehaltene Informationen über mögliche NS-Raubkunst in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen machen Erben-Anwälte dem bayerischen Kunstministerium schwere Vorwürfe. Markus Stötzel, der die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtmann (1878-1937) vertritt, sprach am Freitag beim Pressegespräch der Grünen-Landtagsfraktion von einem „Skandal mit Ansage“. Dass Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) nun versuche, die Verantwortung allein den Staatsgemäldesammlungen zuzuschieben, sei heuchlerisch: „Der Fisch stinkt immer vom Kopf her.“ Verantwortlich für die Rückgabe von NS-Raubkunst sei der Minister selbst.
Diese Einschätzung teilte auch Hannes Hartung, Rechtsanwalt der Erben von Therese Brettauer aus Wien und „aller Erben der jüdischen Galeristen Brüder Lion am Maximiliansplatz München“. Seit Jahrzehnten schon werden die Erben als Anspruchsberechtigte „wie Esel zwischen zwei Heuhaufen hin und hergeschickt“, sagte Hartung und meinte damit Kunstministerium und Staatsgemäldesammlungen. In Bayern dürften staatlichen Museen zwar die Herkunft – in der Fachsprache: Provenienz – erforschen. Die Bewertung dieser Ergebnisse obliege aber einer Abteilung im Ministerium. Die Entscheidung, ob ein Werk tatsächlich an Erben zurückgegeben wird, fälle schließlich der Minister.
Auch Anwalt Ulf Bischof, der die Erben von Paul von Mendelssohn-Bartholdy vertritt und seit vielen Jahren mit dem Freistaat um die Herausgabe des Picasso-Werks „Madame Soler“ streitet, äußerte sich in dem Pressegespräch: In Bayern klafften „Anspruch und Wirklichkeit beim Thema Raubkunst-Restitution“ auffällig weit auseinander. Andere Länder, und auch die meisten anderen 15 Bundesländer, seien bei dem Thema sehr viel transparenter. In Bayern gelte etwa der Grundsatz, dass man erst alle Erben ermittelt haben muss, ehe man Kontakt mit ihnen aufnimmt. „Das geht an der Wirklichkeit vorbei“, sagte Bischof. Viele Informationen zu weiteren potenziellen Erben erhalte man ja gerade von den schon bekannten Personen.
Auslöser für die aktuelle Raubkunst-Debatte war eine Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ vom Donnerstag. Der Zeitung zufolge wurden die Nachfahren von enteigneten jüdischen Kunstbesitzern nicht über NS-Raubkunst im Besitz der Staatsgemäldesammlungen informiert – dabei soll die Provenienz der geraubten Kunstwerke teils schon lange bekannt sein. Die Zeitung stützt sich auf einen 900-seitigen Auszug einer internen Datenbank von 2020, der ihr vorliegt. Der Auszug enthalte Berichte zu rund 200 möglichen NS-Raubkunstwerken. Die Staatsgemäldesammlungen – zu denen die weltbekannten Pinakotheken in München gehören – weisen die Vorwürfe zurück. (0640/20.02.205)