Am Reformationstag haben leitende Geistliche zu einer sozial engagierten Kirche aufgerufen, die Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt. „Ein gegenseitiges Füreinander-Eintreten ist ein Hoffnungsbooster“, sagte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch am Donnerstagabend in einem Gottesdienst in Bonn. „Die herrliche Freiheit, die Welt Gottes, ist von sozialer Relevanz.“ Nach den Worten des rheinischen Präses Thorsten Latzel kann der von Gott geschenkte Glaube frei machen und zu einem guten Umgang mit den Sorgen und Nöten anderer Menschen führen.
Der Theologische Vizepräsident der westfälischen Kirche, Ulf Schlüter, würdigte die durch Martin Luther angestoßene Reformation als „Aufbruch zur Freiheit im Glauben und in ein Leben ohne Höllenangst“. Dass der Mensch allein durch den Glauben und durch Gottes Gnade sein Seelenheil erlangen könne, habe Welt und Kirche aus den Angeln gehoben. Diese Gnade könne nicht durch fromme Taten oder durch das Erkaufen von Sündenvergebung erreicht werden, sagte Schlüter, der nach dem Rücktritt der früheren Präses Annette Kurschus im November 2023 die Evangelische Kirche von Westfalen kommissarisch leitet, in einer Radioandacht.
Diakonie-Präsident Schuch sagte in der Bonner Kreuzkirche, Christen könnten „teilnehmen an der Bewegung der Menschenfreundlichkeit Gottes und damit ernst machen, dass Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität und Besitz keine Rolle spielen“. Gott und Gerechtigkeit ließen sich nicht voneinander trennen. „Solidarität und Barmherzigkeit sind daher das Wertefundament der Christusnachfolgenden.“ Reformation berge die Chance auf Erneuerung und sei damit das Gegenteil von Weltuntergangsstimmung. Die von Gott geschenkte Hoffnung gebe Zuversicht und Kraft zum Handeln: In die kirchliche Trägheit könne Aufbruch gesät werden, „indem wir handeln“.
Auch die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, plädierte für ein engagiertes Christentum, das Verantwortung in der Gesellschaft und in der Welt übernimmt. „Luthers gnädiger Gott lädt nicht zum Wegsehen ein! ‘Ist mir egal’ ist keine Option angesichts der Not auf dieser Welt“, erklärte sie in Wittenberg.
Präses Latzel, leitender Theloge der Evangelischen Kirche im Rheinland, rief dazu auf, sich auf den Kern des evangelischen Glaubens zu besinnen. Die Vorstellung von religiöser Rechtgläubigkeit, moralischer Überlegenheit oder einer familiären Harmoniekultur hätten dazu beigetragen, dass sexualisierte Gewalt in der Kirche lange nicht richtig wahrgenommen und aufgearbeitet worden seien, sagte er in Düsseldorf. „Der protestantischen Plusterigkeit ist längst die Luft rausgelassen.“ Am Reformationstag gehe es „darum, worauf es eigentlich ankommt – im Leben und darüber hinaus“. Das könne man sich nur schenken lassen.
Der 31. Oktober erinnert an den Beginn der Reformation im Jahr 1517 durch die Veröffentlichung der 95 Thesen des damaligen Augustinermönchs Martin Luther (1483-1546) gegen kirchliche Missstände. Die Thesen wurden zum Ausgangspunkt einer christlichen Erneuerungsbewegung.