“Ich traf Gott – sie ist schwarz”: Dieses Epigramm – ein Slogan der Bewegung “Black Lives Matter” – ist eine Provokation. Doch “Sister Deborah” der ruandischen Autorin Scholastique Mukasonga trifft den Nerv der Zeit.
Wer ist diese Frau mit dem großen eisernen Stock, die auf einem Termitenhügel unter einem Korallenbaum thront? In Nyabikenke, einem Ort in Ruanda, sind es die Kinder, die diesen Stock zuerst berühren dürfen. Sobald sie ihn anfassen, legt die Frau – Sister Deborah – ihnen die Hand auf den Kopf und sorgt dafür, dass ihre Kraft durch die kleinen Körper strömt. Ikirezi, ein kränkliches Mädchen mit vielen Schwestern und Brüdern, hat es selbst erlebt und ist so überrascht wie fasziniert davon. Sie ist die Erzählstimme des Romans “Sister Deborah” der ruandischen Autorin Scholastique Mukasonga, der am Donnerstag erscheint.
Die Geschichte beginnt im Ruanda der 1930er Jahre, zu dieser Zeit belgische Kolonie. Europas Wettlauf um Afrika ist längst abgeschlossen, nicht aber jener unter den Missionaren. Von der lutherischen Mission, die in jenen Jahren entstand, in denen Ruanda Teil von Deutsch-Ostafrika war, stehen in Nyabikenke nur noch Ruinen. Allgegenwärtig sind nun die weißen Pater, die “echten Padri”, wie Ikirezis Vater sagt.
Doch mit dem Auftauchen der schwarzen amerikanischen Missionare aus den USA – Reverend Marcus und Sister Deborah – geraten ihre Macht und ihr Einfluss ins Hintertreffen. Mitunter als Hexer mit falschen Weihwasser bezeichnet, ist die Neugierde groß – vor allem unter den Frauen der Gemeinde. Sie lassen sich zunehmend von den Worten der Amerikanerin begeistern und einnehmen. Diese klingen verlockend: In Ruanda werde eine “Himmlische Dame” ein “Königreich der Frauen” begründen, und noch skandalöser: Sie ist schwarz; der Messias ist eine schwarze Frau! Wer zu den Auserwählten gehören möchte, muss sich in einer Viehtränke taufen lassen.
Es lässt sich unschwer erahnen, dass diese Entwicklung kein gutes Ende nimmt und ein altbekannter Vorwurf geäußert wird: Hexerei. Soldaten werden entsandt, um Sister Deborah ein Ende zu bereiten. Doch lebt nur die Legende weiter – oder die Heilerin und Prophetin selbst?
Mehr als 20 Jahre später geht Hauptfigur Ikirezi auf Spurensuche. Sie ist längst den umgekehrten Weg gegangen wie einst Sister Deborah – von Ruanda in die USA, wo aus dem einst kränklichen Mädchen die renommierte Afrikanistin Miss Jewels von der Howard University wurde. Doch ihre Reise führt sie nicht zurück nach Ruanda, sondern in einen Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi, wo nun eine Wunderheilerin namens Mama Nganga lebt.
Mukasongas Roman – die 1956 in Ruanda geborene und heute in der Normandie lebende Autorin wurde unter anderem mit dem renommierten Renaudot-Preis und dem Simone-de-Beauvoir-Preis ausgezeichnet – nimmt eine bisher wenig transportierte Perspektive ein. Spielerisch, fast leicht und vor allem beiläufig steht der Kolonialismus mit all seinen Folgen in der Kritik, ohne dass es dafür eine laute Vorkämpferin braucht.
Damit einher geht Kritik an Formen von Missionierung, die eng mit dem Kolonialismus verknüpft sind. In einem Interview des französischen Kultur- und Fernsehmagazins Télérama sagte Mukasonga: “Die Kolonialherren verließen sich auf Missionare, die für die Bildung zuständig waren und deren Aufgabe es war, ‘die Wilden zu zivilisieren’.”
Die Konsequenzen: Traditionelle Religionen seien unterdrückt worden und in Vergessenheit geraten. “Ich stamme aus einer Generation, in der alle Spuren unserer vorkolonialen religiösen Kultur, die das Fundament der ruandischen Gesellschaft bildete, vollständig ausgelöscht wurden”, sagt Mukasonga. Eine Lücke klafft.
“Sister Deborah” könnte damit einen Nerv treffen: In vielen Regionen Afrikas kommt es seit einigen Jahren zu einer Rückbesinnung auf die Geschichte vor der Zeit des Kolonialismus. So wird in Benin in Westafrika die alte Religion Voodoo zunehmend groß gefeiert. Auch werden einflussreiche afrikanische Frauen wiederentdeckt und beachtet. Mukasongas Roman passt also bestens in aktuelle Debatten.