Blaue Flecken, Inliner-Verbot und ständige Spritzen: An der “Bluter-Krankheit” erkranken fast nur Männer. Warum das die wenigen weiblichen Patienten vor Probleme stellt, berichten eine Betroffene und ein Mediziner.
Diagnose Hämophilie – damit wissen viele wahrscheinlich nichts anzufangen. Dahinter steckt eine seltene Blutgerinnungsstörung, besser bekannt als “Bluter-Krankheit”. Dabei fangen Patienten teils spontan und unkontrolliert an, aus Wunden oder im Körper zu bluten. Betroffen sind fast ausschließlich Männer. In ganz Deutschland gibt es nur eine Handvoll weiblicher Patienten. Eine von ihnen ist Vanessa Link. Sie erzählt von einer Kindheit zwischen blauen Flecken und Spritzen-Therapie und warum die Hämophilie trotz allem nicht ihr Leben bestimmt.
Die Krankheit wurde bei Link früh diagnostiziert. “Bevor Babys krabbeln, robben sie erstmal über den Boden. Dadurch hat sich bei mir ein schwarz-blauer Fleck auf der Brust gebildet”, erzählt die heute 22-jährige aus Gronau in Westfalen. Die Diagnose aus dem Krankenhaus wollte die Kinderärztin in ihrer Heimat zuerst nicht glauben. “Sie hatte den Befund auf dem Tisch liegen, hat ihn aber für einen Irrtum gehalten, weil ich weiblich bin.” Auch später hätten Ärzte ihre Diagnose oft nicht ernstgenommen. Noch heute bringe sie zu Arztbesuchen einen Bericht ihres Hämatologen als Beweis mit – um im Notfall nicht mit einer unerkannten Blutung warten zu müssen.
Dass Skepsis auftritt, weil es fast keine weiblichen Patienten gibt, weiß auch der Bonner Hämophilie-Experte Georg Goldmann. Die Krankheit sei angeboren und werde über das X-Chromosom vererbt. “Männer haben nur ein X-Chromosom. Dadurch schlägt die Krankheit bei ihnen immer durch.” Bei Frauen könne ein X-Chromosom das andere ausgleichen, weshalb sie meist nur Überträger seien. “Vanessa ist ein Sonderfall”, meint der Mediziner.
Betroffenen fehlt je nach Typ der Krankheit der Gerinnungsfaktor acht oder neun im Blut gänzlich oder er wird nur unzureichend gebildet. Das kann laut Goldmann zu Blutungen an Gelenken und Organen oder bei äußeren Verletzungen führen. Ein großer Blutverlust könne gefährlich werden und im Fall der Gelenke Arthrose und Verkrüppelungen mit sich bringen. Die weibliche Sicht auf die Krankheit werde oft vernachlässigt. Das fange bei Überträgerinnen an. Auch bei ihnen sei es möglich, dass Periodenblutungen deutlich länger dauerten oder sie bei einer OP deutlich stärker bluten als andere.
Von Symptomen weiß auch Link zu berichten: “Bei Nasenbluten hatte ich es als Kind öfter, dass es einfach nicht aufhören wollte.” Blaue Flecken waren an der Tagesordnung. “Und wenn ich mein Knie angestoßen habe, konnte ich manchmal eine Woche nicht laufen.” Zur Sicherheit musste sie auf Dinge verzichten – etwa auf die Inliner, mit denen sonst alle Kinder rumgefahren sind. “Für mich war das streng verboten, das war Sünde.” Zur Vorbeugung wurde Link damals mit regelmäßigen Spritzen behandelt – gerade für Kinder nicht immer angenehm.
Dann kam für die Sonder-Patientin vor vier Jahren die Wende in Form einer neuen Therapie. Statt der intravenösen Behandlung bekommt sie heute ein Präparat, das nur noch alle paar Wochen über das Bauchfett gespritzt wird. “Man muss sich nicht mehr ständig einen Kopf um sein Leben machen”, berichtet Link. Dinge, die früher undenkbar waren, sind plötzlich möglich – sogar Tattoos. Auch den Traum von eigenen Inlinern hat sie sich endlich erfüllt.
Mediziner Goldmann zeigt sich für die Zukunft optimistisch. Mittlerweile könne man auch bei schweren Verlaufsformen medikamentös ausgleichen. “Wir glauben, dass diese Krankheit auf Dauer heilbar sein wird. Die Forschung ist nur etwas eingeschränkt, weil es eine seltene Krankheit ist”, so der Arzt. Es gebe aber bereits Gentherapien, die Hämophilie zwar nicht heilten, aber den Gerinnungsfaktor über Jahre hochhielten.
Für Link bedeutet das ein fast normales Leben. Selbst ihr Wunsch, irgendwann auf natürlichem Weg Kinder zu bekommen, scheint möglich. “Natürlich mache ich mir bei dem Thema Gedanken, aber da hat mich mein Arzt schon beruhigt.” Lediglich auf engere Betreuung durch Fachleute und einen möglichen Kaiserschnitt müsse sie sich einstellen. Und selbst wenn sie die Hämophilie vererben sollte, glaubt Link, dass die moderne Medizin ihren Kindern viel mehr ermöglichen wird als ihr selbst damals.