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„Eine Art Basisprävention“

Kaum jemand spricht gern über den Tod, über Suizid schon gar nicht. Dabei könnte das Thema jeden einmal betreffen. Die Kirchen wollen mit der „Woche für das Leben“ nun zur Enttabuisierung beitragen

10 000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben; seit Jahren ist diese Zahl konstant. Das Thema beschäftigt noch weitaus mehr Menschen: Angehörige, Freunde und Kollegen der Betroffenen, bisweilen Unbeteiligte wie Lokführer oder Feuerwehrleute. Letztlich könne jeder einmal mit diesem Tabu konfrontiert werden, meint der Bamberger Weihbischof Herwig Gössl. Daher widmen sich die beiden großen Kirchen in ihrer „Woche für das Leben“ in diesem Jahr der Suizidprävention: einem „dringenden Thema“, wie Gössl betont.
Vom 4. bis 11. Mai will die Aktion die Beratungsangebote für suizidgefährdete Menschen bekannter machen und die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren. Eröffnet wird die „Woche für das Leben“ mit einem Gottesdienst in der Marktkirche in Hannover. Außer dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und dem Bischofskonferenz-Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx werden auch der Hannoveraner Landesbischof Ralf Meister und der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer zugegen sein.
Nach dem Gottesdienst soll sich das Geschehen auf den Marktplatz verlagern: Dort stellen sich einzelne Träger und Projekte vor, von der Polizei über die Telefonseelsorge und die Deutsche Bahn bis zur Online-Beratung der Caritas [U25]. Vorgesehen sind auch Bühnentalks zu verschiedenen Aspekten des komplexen Themas.
Seit 1994 veranstalten evangelische und katholische Kirche gemeinsam die „Woche für das Leben“. Bisherige Themen waren etwa „Sinn statt Sucht“, „Sterben in Würde“ oder, im vergangenen Jahr, „Kinderwunsch. Wunschkind. Unser Kind!“ zu den Methoden der Pränataldiagnostik. In diesem Jahr soll es darum gehen, Wege für eine bessere Versorgung suizidgefährdeter Menschen zu eröffnen, erklären Marx und Bedford-Strohm. „Als Christen wollen wir unseren Mitmenschen beistehen in ihrem Nachdenken über das, was sie hält und trägt, und über das, was brüchig und dunkel ist.“
Auch solle die Aktion dazu beitragen, das Thema in der breiten Öffentlichkeit zu enttabuisieren. Dass niemand gern darüber spreche oder davon höre, sei insofern ein gutes Zeichen „als es deutlich macht: Wir wollen uns in unserer Gesellschaft nicht an den Suizid gewöhnen“, erklärt Gössl. „Zum anderen aber verhindert diese Scheu eventuell die Wahrnehmung von Signalen, von versteckten Hilferufen, welche die Gefährdeten senden.“
Suizid ist längst nicht mehr strafbar; selbst die katholische Kirche verurteilt keine Menschen mehr, die sich das Leben genommen haben. Die Kirche verurteile zwar die Tat selbst als Sünde – nicht aber den Menschen, der sie begehe.
Nach Einschätzung der Fachautorin Chris Paul handelt es sich gleichwohl um die am stärksten tabuisierte Todesursache. „Geheimnisse und Vorurteile ranken sich um jeden einzelnen Suizid“, schreibt sie in ihrem Buch „Warum hast du uns das ange-tan?“. Selbsttötungen seien „von einer Atmosphäre der Unwirklichkeit umgeben, sie bleiben rätselhaft“.
Die geplanten Aktionen der „Woche für das Leben“ sollen Licht in dieses Dunkel bringen: In verschiedenen Städten sind Ausstellungen und Podiumsdiskussionen, Film­abende und Vorträge, Theateraufführungen und Beratungsangebote geplant.
Die Angebote richten sich an alle Menschen, ob gläubig oder nicht. Wirken sollen sie auf zwei Ebenen: „Bei der Suizidprävention geht es zunächst um das Verhüten des Todes durch Suizid im akuten Fall, wozu natürlich Klärung, Diagnostik, Fürsorge und gegebenenfalls Therapie gehören“, erklärt die Vorsitzende des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), Barbara Schneider. Auch Aufklärung und Enttabuisierung trügen indes zur Prävention bei. Herwig Gössl formuliert es so: Lebensfreude, ein wertschätzendes Interesse an anderen und ein intensiveres Miteinander könnten „eine Art Basisprävention“ sein.