Neustrelitz. Vierzig Jahre lang war Eva-Marie Gurske Pfarrfrau in Peckatel. Über zwanzig Jahre wohnt sie nun schon im zehn Kilometer entfernten Neustrelitz, doch noch immer nennt die 90-Jährige das kleine Dorf ihr „Zuhause“. „Als wir dort weggezogen sind, hat es mich fast umgehauen vor Heimweh“, erzählt sie.
Als frisch verheiratetes Paar begannen Eva-Marie und Ulrich Gurske 1955 ihren Dienst in Peckatel. Kennen gelernt hatten sich die beiden in der Studentengemeinde in Rostock. Eva-Marie machte dort eine Ausbildung im Bereich Krankengymnastik, doch bald eignete sie sich auch Fähigkeiten an, die man als zukünftige Ehefrau eines Pastors auf dem Lande gut gebrauchen konnte: „Ich habe Klavierunterricht genommen. Einerseits, weil ich das schon immer machen wollte, andererseits, weil es hieß: Da auf dem Dorf, da haben die Gemeinden keine angestellten Organisten.“
Schwere Lebensverhältnisse prägten den Anfang
Die Anfangszeit in der Pfarrei hat Eva-Marie Gurske in guter Erinnerung: „Als wir in Peckatel angefangen haben, waren wir ja grade mal Mitte Zwanzig, also noch richtig jung. Das war wunderbar.“ Dabei waren die äußeren Umstände alles andere als einfach. Im Pfarrhaus wohnten außer den Gurskes noch drei weitere Familien, die aus den früheren deutschen Ostgebieten geflüchtet waren. „Überhaupt die Lebensverhältnisse damals auf dem Dorf: Zum Heizen der Wohnung nur alte, rauchige Öfen, keine Waschmaschine, kein Telefon, kein Auto, keine Busverbindung, das Plumpsklo draußen auf dem Hof!
Und dann war in der Kirche auch noch die Orgel kaputt und weil der Friedhof keinen Zaun hatte, liefen die Hühner ungehindert über die Gräber“, erinnert sich Eva-Marie Gurske kopfschüttelnd. „Das war alles nicht so toll, aber die Gemeinde hat uns wunderbar aufgenommen und zur Seite gestanden. Von Anfang an war da so eine herzliche und enge Verbindung zwischen uns, das hat über Vieles hinweggeholfen.“
Als Pfarrfrau war Eva-Marie bei nahezu allen Gottesdiensten und Bibelstunden ihres Mannes dabei, übernahm das Orgelspielen und die Chorleitung, kümmerte sich um den riesigen Pfarrgarten und die Anfragen der Gemeindeglieder. Für sie und ihren Mann sei es selbstverständlich gewesen, dass das Pfarrhaus für Besucher stets offen war. „Wir beide waren praktisch im Dauereinsatz, Tag und Nacht. Wenn jemand uns sprechen wollte, waren wir immer für ihn da. Das hat mich damals auch gar nicht gestört – das war eben unsere Aufgabe, unser Amt.“
Besonders gern hat sich Eva-Marie Gurske mit ihrem Mann über die Bibel ausgetauscht. Den Predigttext für den jeweiligen Sonntag besprachen sie oft gemeinsam am Tisch. „Da haben wir uns manchmal ganz schön in die Wolle gekriegt. Zum Beispiel wenn Ulrich Aspekte des Textes in seiner Predigt weglassen wollte, die ich total wichtig fand.“ Einmal habe sie sogar selbst die Predigt gehalten, als sie ihren Mann bei einem Gottesdienst vertreten musste. „Das war ein ganz tiefes, herzbewegendes Erlebnis für mich“, blickt sie zurück. Ob sie selber gerne Theologie studiert hätte? Eva-Marie Gurske überlegt nur kurz: „Doch, das wäre was für mich gewesen.“
Kirche und Glauben gehören zu ihrem Leben
„Morgens und abends oder vor dem Essen zu beten, war etwas völlig Normales bei uns. Meine Mutter hat sehr darauf geachtet, dass wir Kinder uns im christlichen Glauben zu Hause fühlen.“ Im Grunde habe sie immer noch denselben Glauben wie als Kind: „Dass es Gott gibt, war für mich immer klar. Irgendwelche intellektuellen Zweifeleien sind bei mir nie aufgekommen und haben mich auch gar nicht interessiert.“ Für sie sei der Glaube die Kraft, die sie durchs Leben trage, und die Bibel der Wegweiser in guten und schweren Stunden. „Vor einiger Zeit war ich sehr schwer an Krebs erkrankt. Im Krankenhaus fragten mich die anderen Patienten in meinem Zimmer: Wie schaffen Sie das nur, die Krankheit so hinzunehmen? Da habe ich ihnen Psalm 23 vorgebetet.“ Zu den Psalmen habe sie schon immer eine enge Beziehung gehabt.
Aber auch die vielen Geschichten im Alten Testament faszinieren Eva-Marie Gurske sehr, wie die von Hiob: „Wie er dieses ganze schreckliche Leid aushält und Gott ihn am Ende noch einmal so reich beschenkt, das berührt mich jedes Mal aufs Neue.“ Sie sei keine übereifrige Bibelleserin, betont sie, aber eine regelmäßige Lektüre sei ihr schon wichtig. „Im Laufe meines Lebens habe ich so viele Bibelstellen auswendig gelernt, die lese ich immer wieder gerne nach und bewege sie in meinen Gedanken.“
Große Freude habe sie am Vergleich verschiedener Übersetzungen, darunter auch die plattdeutsche Ausgabe. „Am besten gefällt mir meistens die alte Luther-Übersetzung, die ist irgendwie am kraftvollsten.“ Eine wortwörtliche Interpretation der Heiligen Schrift, zum Beispiel in Bezug auf den Schöpfungsbericht oder die Stellung der Frau in der Gemeinde, hält Eva-Marie Gurske allerdings für „totalen Blödsinn“: „Die Bibel ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von Menschen aufgeschrieben, die da auch ihre eigene Sicht der Dinge mit reingebracht haben. Vieles muss man einfach im Kontext seiner Zeit sehen.“