Wir mögen wunderbare Werke vollbringen; zählen werden nur jene, die der barmherzigen Liebe Christi in uns entspringen. Am Abend unseres Lebens wird es die Liebe sein, nach der wir beurteilt werden; die Liebe, die wir allmählich in uns haben wachsen und sich entfalten lassen, in Barmherzigkeit für jeden Menschen in der Kirche und in der Welt. Frère Roger
In den dunkelsten Jahren Europas wollte Roger Schutz einen neuen Weg gehen. 1940 wählte er den Hügel von Taizé in Burgund, um auf neue Weise Gemeinschaft zu leben. Brüderlichkeit und Verbundenheit, zwischen den Generationen, Völkern, aber auch zwischen den Konfessionen. Die Communauté von Taizé wurde weltberühmt. Sie kann in diesen Monaten auf 75 Jahre zurückblicken. Und ihr Gründer, der Schweizer Frère Roger Schutz, wäre am 12. Mai 100 Jahre alt geworden.
Gott kann man überall erreichen
Das Phänomen Frère Roger ist oft beschrieben worden. Als Sohn eines calvinistischen Pfarrers geboren im Dörfchen Provence im Schweizer Jura ist er das neunte Kind der Familie – und erst der zweite Sohn. Ihn drängt zunächst wenig zur Religion. Roger ist vielmehr dankbar, dass andere, etwa seine Großmutter Marie-Louise, so fest glauben können, dass es für ihn mit reicht. Und schon von Kindheitstagen ist ihm vom wortkargen Vater wie von der liebevollen Großmutter vertraut, dass Protestan-ten überall beten und Gott erreichen können.
Es ist eine Kindheit voller Musik, Klavier, voller Gespräche, Spaziergänge und großer Gastfreundschaft. Aber auch mit Krankheiten. Roger selbst erkrankt schwer an Tuberkulose und schwebt zeitweise zwischen Leben und Tod. Als Jahre später seine Lieblingsschwester Lily ebenfalls todkrank wird, sucht er intensiv die Nähe zu Gott – und erkennt erst in dieser tiefen Sehnsucht, dass er bereits einen Glauben besitzt. Sein anschließendes wissenschaftliches Theologiestudium ist für ihn mehr Mittel als Freude. Tätige Nächstenliebe im Vertrauen auf Gott – das wird fortan seine Leidenschaft.
Im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) sucht der Schweizer einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Im Sommer 1940 findet er – ganz in der Nähe des untergegangenen Reformklosters Cluny – das verfallene Weindorf Taizé. Einen heruntergekommenen, geistlich verwaisten Flecken.
Nur ein paar Kilometer sind es von der Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt Roger jüdische und politische Flüchtlinge, gemeinsam mit seiner Schwester Genevieve Schutz-Marsauche, die dafür auf die Aussicht einer Karriere als Pianistin verzichtet. 1942 werden sie denunziert und müssen in die Schweiz zurückkehren.
Nach der Befreiung Frankreichs 1944 vollzieht sich, was, kurz gesagt, ein Skandal und ein überraschender Welterfolg wird: Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft von Taizé im Geist von Frère Roger entwickelt sich die erste ökumenische Ordens-gemeinschaft der Kirchengeschichte – und ein Magnet für viele Millionen Jugendliche aus aller Welt. Aus dem Menschen und dem Hügel und der Idee wird ein Fest, ein dauerndes christliches Fest. Frère Roger ist ein Motor für die entstehende ökumenische Bewegung. Auch die Päpste schätzen den Protestanten und suchen das Gespräch mit ihm.
Zu den unumstößlichen Überzeugungen des Taizé-Gründers, dem Gastfreundschaft über alles geht und der sich Zeit für jeden Menschen in großen und kleinen Nöten nimmt, gehört die Befreiung von allem Ballast: kein Besitz, keine Rechtstitel und Privilegien, keine Archive und Bilanzen, keine Erstarrung oder Selbstzufriedenheit. Suchen, am besten im Gespräch mit der Jugend – immer neu den guten Weg suchen und dabei auf den vertrauen, dem diese Suche gilt: Gott.
Frère Roger überwand den Eisernen Vorhang
Frère Roger wirkt auch nach außen. Er besucht Asien, Afrika, überwindet heimlich den Eisernen Vorhang. Er schreibt Briefe an die Jugend der Welt, selbst als er auf den Knien jenen Säugling hat, den ihm Mutter Teresa aus den Slums von Kalkutta 1976 als Patenkind anvertraut. Ein Organisationschaos beim Jugendtreffen? Der Zwang zu improvisieren, um für Zehntausende Essen zu beschaffen? Sehr gut – so muss es sein.
Frère Roger predigt und lebt sein Leben lang Freiheit und Gottvertrauen. Vielleicht auch deshalb gelingt die Fortsetzung des Abenteuers Taizé, nachdem sein Gründer im August 2005 einen so unsinnigen Tod stirbt. Der Friedenssucher und Friedensbringer Roger Schutz wird, 90-jährig, beim Abendgebet in der Kirche von Taizé inmitten von Brüdern und betenden Jugendlichen von einer verwirrten Frau erstochen. Die Gemeinschaft trägt ihn aus der Kirche, setzt das Gebet fort – und die Suche nach ihrem Weg.
Seinen Nachfolger, Frère Alois Löser aus Deutschland, hat Roger Schutz bereits acht Jahre vor seinem Tod ernannt.
Einer, der seit 1976 vor allem für deutsche Taizé-Pilger eine Institution war, hat einen neuen Weg beschritten. Einen Weg, zu dem die Brüder den besonders begeisterten und eintrittswilligen Jugendlichen immer wieder geraten haben: Nehmt dieses Taizé mit und tragt es in euren Alltag, nach draußen. Frère Wolfgang (62), mit bürgerlichem Namen Klaus Hamburger, ist 2011, nach 35 Jahren Taizé, nach Deutschland zurückgekehrt – als Krankenhaus- und Gefängnisseelsorger. Zum Jubiläumsjahr von Taizé hat er ein anrührendes, assoziatives und auf persönlichen Erinnerungen basierendes Buch verfasst, dessen Titel Generationen von Pilgern aus dem Herzen spricht: „Danke, Frère Roger“.
☐ Klaus Hamburger: Danke, Freré Roger. Persönliche Erinnerungen an den Gründer von Taizé. adeo Verlag, 222 Seiten, 18 Euro. Informationen zu Taizé im Internet: http://www.taize.fr/de.