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Ein Jahr für alle

Der Bethel-Vorsitzende Ulrich Pohl fordert ein verpflichtendes Sozialjahr für alle Schulabgänger. Er sieht viele positive Effekte. In der Politik stößt er mit dem Vorstoß auf Ablehnung

© epd-bild / Reinhard Elbracht

BIELEFELD – Der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Ulrich Pohl, plädiert für ein Allgemeines Soziales Jahr. Alle Schulabgänger sollten demnach ein Jahr lang in sozialen, kulturellen oder ökologischen Einrichtungen arbeiten, sagte Pohl in Berlin. Ein solches Sozialjahr wecke Verständnis für Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und bilde soziale Intelligenz aus, fügte er hinzu. Es könne den Frieden in Europa bestärken und der Berufsorientierung junger Menschen dienen. Bei CDU und SPD findet der Vorschlag jedoch keine Zustimmung.
SPD-Familien- und -Sozialpolitikerin Svenja Stadler lehnt die Idee ab. „Das müssen wir gar nicht erst diskutieren, denn die Forderung ist rückwärtsgewandt und auch überflüssig“, sagte sie dem in Berlin erscheinenden „Tagesspiegel“ vom 7. Juli. Da es mehr Bewerber als Plätze gebe, sei es nicht nötig, den Sozialdienst zur Pflicht zu machen. Jugendliche engagieren sich nach ihrer Ansicht bereits für die Gesellschaft. Die SPD-Politikerin kritisierte, dass ein Pflichtjahr für alle Schulabgänger eine „Entprofessionalisierung“ im Pflege- und Betreuungsbereich nach sich ziehen würde, weil Fachkräfte durch Sozialdienstleistende ersetzt würden.
Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Schiewerling, nannte die Idee eines sozialen Pflichtjahrs hingegen reizvoll. „Ein solcher Dienst wäre zweifellos eine wichtige Erfahrung für junge Menschen, und er würde den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken“, sagte der Dülmener Bundestagsabgeordnete dem „Tagesspiegel“. Probleme sieht Schiewerling allerdings in der Bürokratie: Es müssten Behörden, ein Versicherungssystem und vieles mehr geschaffen werden. Außerdem bezweifelt er, dass es genügend Kapazitäten gebe, um die Jugendlichen unterzubringen.
Pohls Worten zufolge würde ein Allgemeines Soziales Jahr jährlich etwa 800 000 Schulabgänger betreffen. Bisher leisten pro Jahr nur etwa 35 000 junge Deutsche einen vergleichbaren Freiwilligendienst nach der Schulzeit. Laut einer repräsentativen Studie im Auftrag Bethels ist die Mehrheit der Bevölkerung für ein verpflichtendes Sozialjahr: 75 Prozent der Befragten befürworteten einen verpflichtenden Sozialdienst für Schulabgänger. Der verpflichtende Charakter des Sozialjahres sei notwendig, um alle Bevölkerungsschichten zu erreichen und nicht nur diejenigen Gruppen, die sowieso schon engagiert seien, sagte Pohl.
Laut ersten Schätzungen würde das Allgemeine Soziale Jahr mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten. Demgegenüber stünde jedoch die soziale Dienstleistung von Hunderttausenden junger Menschen, erklärte Pohl. Bislang gibt es auf freiwilliger Basis Angebote wie den Bundesfreiwilligendienst, das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr. Pohl wirbt mit seinem Buch „Ein Ja muss sein“ für das verpflichtende Allgemeine Soziale Jahr und möchte eine breite öffentliche Debatte zu dem Thema anstoßen. epd

Ulrich Pohl: „Ein Ja muss sein – Plädoyer für ein Allgemeines Soziales Jahr in Deutschland und Europa“. Luther-Verlag, 96 Seiten, 12,95 Euro.