Hannover. "Das ist ja wie Weihnachten", sagt Jens Steinmann mit Blick auf die lange Schlange vor der Marktkirche im Herzen von Hannover. "Wenn Frau Käßmann predigt, zieht sie die Massen an." Der Verkäufer der Straßenzeitung "Asphalt" kennt sich aus, vor der Kirche ist seit Jahren sein Stammplatz. Noch einmal tritt die wohl prominenteste Theologin der evangelischen Kirche auf die Kanzel der Kirche, in der sie am 4. September 1999 als damals jüngste Bischöfin in Deutschland eingeführt wurde. Käßmann, die am 3. Juni 60 Jahre alt geworden ist, wird mit dem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet.
Neben Prominenz aus Kirche und Politik sind viele Wegbegleiter der früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter den rund 800 Gästen in der gotischen Backsteinkirche. Er habe mit Käßmann viel erlebt – Höhen und Tiefen, sagt der frühere hannoversche Synodenpräsident Jürgen Schneider. "Jetzt ist es mir wichtig, einen schönen Schlusspunkt zu setzen."
Auch unangenehme Themen angesprochen
Vor der Kirche verfolgen noch einmal einige hundert Menschen den Gottesdienst auf einer Leinwand – bei strahlendem Sonnenschein nach Möglichkeit unter einem der aufgespannten Sonnenschirme. Wie bei Käßmanns Einführung gibt es auf ihren Wunsch ein Fest zwischen Altem Rathaus und Marktkirche. Bei Ingrid Robens, die auf einer der Bänke Platz genommen hat, kommt das gut an. "Kirche sind wir alle und nicht nur die Prominenz", sagt sie. "Das war Frau Käßmann immer sehr wichtig."
Vor der Kirche sitzen Menschen, die die beliebte und zugleich umstrittene Theologin schätzen. "Sie hat sich nicht gescheut, unangenehme Themen klar anzusprechen, hat Kritik eingesteckt und Position bezogen, zum Beispiel zum Afghanistan-Einsatz", sagt Michaela Meier, die aus dem Osnabrücker Land angereist ist. Auch den Schritt der damaligen EKD-Ratsvorsitzenden, nach einer Fahrt unter Alkoholeinfluss im Februar 2010 nach nur wenigen Monaten im Spitzenamt der evangelischen Kirche zurückzutreten, bewundert Meier. "Das hätte sonst kaum ein Politiker oder Kirchenvertreter getan."
Käßmann bleibt sich bei ihrem Abschied treu. Sie spricht in ihrer Predigt von Hoffnung und ermutigt zum Engagement für Frieden und Gerechtigkeit. "Anders als all die Schlechtredner, Miesmacher, Gewaltandroher, Rassisten, Menschenrechtsverächter und Freiheitsfeinde werden wir die Vision vom Gelobten Land immer wieder umsetzen in kleinen Schritten", sagt sie. Beifall brandet auf, als sie spontan auf die Stimmung draußen vor den Kirchenmauern reagiert. Ein Spielmannszug auf der Straße übertönt die Worte, in Hannover ist Schützenfest.