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Ein «echter Allrounder» aus der industriellen Frühzeit

Industriegeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Wohnkultur: Die Wiedereröffnung des sanierten Engels-Hauses in Wuppertal eröffnet vielfältige Einblicke, nicht nur über den Sozialrevolutionär Friedrich Engels.

Wuppertal (epd). Auch vor der Historie macht die Corona-Krise nicht Halt: pünktlich zum 200. Geburtstag des Unternehmers und späteren berühmten Sozialrevolutionärs Friedrich Engels (1820-1895) wollte die Stadt Wuppertal im vergangenen November das historische Engels-Haus nach dreijähriger Sanierung neu eröffnen – dann kamen die Pandemie und im Herbst der Lockdown und nichts ging mehr. Am Wochenende aber gehen die Türen wieder auf.

   «Ich freue mich sehr darüber, dass das Engels-Haus nun endlich seine Türen für den regulären Museumbetrieb öffnet», sagt ein spürbar erleichterter Direktor des Museum Industriekultur Wuppertal, Lars Bluma, bei einer Presse-Vorabbesichtigung am Mittwoch. Denn das mit Schiefer verkleidete Fachwerk-Haus ist für die Bergische Metropole ein bedeutendes Stück ihrer von einer seinerzeit europaweit führenden
Textilindustrie geprägten Wirtschaftsgeschichte.

   Im Jahr 1775 ließ Engels' Großvater das stattliche Wohnhaus erbauen, das auch den wirtschaftlichen Erfolg der Textilunternehmer-Familie repräsentieren sollte. Nach der 4,8 Millionen Euro teuren Sanierung erstrahlen in dem dreigeschossigen Gebäude nun unter anderem das Musik- und Tapetenzimmer. Sie geben einen authentischen Eindruck davon, wie die Familie Engels gelebt und gewohnt hat – aufwendige Stuckarbeiten sowie farbige Darstellungen von Fluss- und Küstenlandschaften beindrucken jetzt in neuem Glanz.

   Aber der Name Engels ist natürlich vor allem verbunden mit Friedrich, der im familiären Textilbetrieb anfing und dann eine Laufbahn der ganz anderen Art einschlug. Den wirtschaftlichen Erfolg, der in der pietistischen Lebenswelt der Unternehmer dieser Zeit auch als sichtbarer Beweis für göttliches Wohlgefallen galt, sah der junge Engels vor allem während seiner Tätigkeit im väterlichen Zweiggeschäft im britischen Manchester kritisch. Dort erlebte er menschenunwürdige Lebensverhältnisse der englischen Industriearbeiter, die er in seiner Schrift «Die Lage der arbeitenden Klasse in England» festhielt.

   Die neue Dauerausstellung im Engels-Haus erzählt mit zahlreichen Exponaten von diesem Gesinnungswandel – und stellt den Fabrikantensohn als «echten Allrounder» dar, sagt Bluma: als Philosophen, Historiker, Journalisten, trinkfest und – natürlich –
kommunistischen Revolutionär: «Er hat gerne mal über die Stränge geschlagen», sagt Bluma, für den die Ausstellung auch ein Versuch ist, sich dem Menschen Engels zu nähern.

   Dazu gehört auch das Thema Freundschaft: In der Schrift «Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie» skizzierte Engels die Rolle des Industrieproletariats beim Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft der Zukunft, die den jungen Karl Marx begeisterte. In Paris trafen Engels und Marx 1844 erstmals zusammen. Beide verband eine lebenslange Zusammenarbeit, aus der der wissenschaftliche Sozialismus hervorging.

   Im gemeinsam verfassten «Kommunistischen Manifest» umrissen beide 1848 die Grundthesen des Marxismus und hoben den Klassenkampf und die internationale Solidarität der Arbeiterschaft hervor. Abseits davon wussten beide einen bürgerlichen Lebensstil zu schätzen. Weil Marx deshalb häufig pleite war, ließ Engels ihm regelmäßig Geld zukommen. Nach Marx' Tod 1883 kümmerte sich Engels um die Herausgabe des zweiten und dritten Bandes des Marx-Werkes «Das Kapital».

   Zur Wiedereröffnung des Hauses wird am Samstag auch Nordrhein-Westfalens Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) erwartet, bevor buchstäblich der Vorhang fällt: Denn die Frontfassade des Hauses ist zunächst
verhüllt. Im Rahmen des internationalen Kunstprojekts «Inside Out Engels» zeigt ein 10 mal 16 Meter großes Banner ein Mosaik aus Schwarz-Weiß-Porträtfotos von 200 Wuppertalerinnen und Wuppertalern, die dem berühmtesten Sohn der Stadt Wuppertal zum 200. Geburtstag gratulieren.

   Noch aber ist das ganze historische Zentrum, zu dem das Engels-Haus gehört, nicht fertig. Auch im benachbarten Museum für Frühindustrialisierung wird noch saniert und umgebaut; zwischen beiden Gebäuden entsteht zudem ein ganz neues Besucherzentrum. Mit einem Neustart des gesamten Komplexes rechnet die Stadt im Frühjahr 2023.