Martin ist Anfang 50. Neben der Familie ist er auch im Job eingespannt. Tagsüber ist er für die EDV einer großen Firma zuständig. Nach Feierabend engagiert er sich in der evangelischen Kirchengemeinde. Er kümmert sich um das Leben in der kleinen Kapelle im Dorf, ist vor vier Jahren zum Presbyter gewählt worden, mittlerweile sogar Kirchmeister der Gemeinde, also für Finanzen zuständig. Martin ist einer von über 14 Millionen Männern und Frauen, die hierzulande ehrenamtlich tätig sind. Manchmal werden sie belächelt, manchmal bewundert. Aber die meisten von ihnen sind hoch motiviert, trotz aller Belastungen.
Natürlich muss sich Martin im Presbyterium immer wieder mit Themen beschäftigen, die ihn eigentlich nicht interessieren. Die schwierig, manchmal unangenehm sind. Besonders der „Rückbau“ der Kirchengemeinde macht ihm zu schaffen. Es gibt weniger Gemeindeglieder, weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, aber zu viele Gebäude. Da müssen manchmal Entscheidungen getroffen werden, die nicht bei allen Gemeindegliedern gut ankommen. Das kann bitter sein. Man hört davon, dass Mitglieder von Presbyterien schon bepöbelt oder angerempelt wurden, weil Menschen mit Entscheidungen des Gremiums nicht einverstanden waren.
Hier und da fragt sich auch Martin, warum er sich das antut. Lange Sitzungen nach der Arbeit, endlose Diskussionen, schwierige Entscheidungen. Aber das ist eben nicht alles. Martin weiß, warum er sich in seiner Kirchengemeinde engagiert. Ihm geht es um die Menschen. Dass sie Kirche weiter erleben können. Dass die Glocken läuten, dass Gottesdienste gefeiert werden, dass Konzerte, Lesungen und Ausstellungen stattfinden. Denn sonst ist nicht viel los in seinem Dorf. So macht er sich, gemeinsam mit anderen, für eine lebendige Kirche stark. Und er freut sich, wenn Menschen kommen und die Angebote annehmen.
Viele, die in kirchlichen Gremien mitmachen, leben in dieser Spannung. Je größer die Aufgabe, umso schwieriger die Herausforderungen, und umso größer teilweise der Frust. Dazu kommt: Gremien bekommen gern Junge. Da wird ein Presbyter noch zum Vorsitzenden des Finanzausschusses oder eine Presbyterin Synodale ihrer Landeskirche oder sogar der EKD. Und plötzlich geht es statt um den Jugendgottesdienst im heimischen Bezirk um nachhaltige Geldanlagen, Europa oder Rechtspopulismus.
Rund zwei Millionen Menschen arbeiten ehrenamtlich in einer der Kirchen in Deutschland mit. Und die meisten davon wissen genau, warum sie das tun, trotz aller Schattenseiten. Weil sie immer wieder auch Schönes erleben: Kinder, die jede Woche fröhlich zur Jungschar kommen. Männer und Frauen, die im Literaturkreis über ein neues Buch diskutieren. Jugendliche, die im Musikgottesdienst mitsingen. Bedürftige, die sich über eine warme Mahlzeit und warme Worte freuen. Kranke, mit denen gebetet wird. Das zu erleben ist ein Geschenk für die Ehrenamtlichen. Und die Ehrenamtlichen sind ein Geschenk für die Kirche und unsere Gesellschaft.
Artikel teilen:
Ein doppeltes Geschenk
Lange Sitzungen, endlose Diskussionen, schwierige Entscheidungen: Kirche leiten kann Kräfte zehren, gerade bei Ehrenamtlichen. Warum tun sie sich das an?