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Drogensucht in Corona-Zeiten: Noch gefährlicher als ohnehin schon

Wer von illegalen Rauschmitteln abhängig ist, lebt in der Corona-Krise noch gefährlicher als sonst: Suchtmittel sind knapp, das Hilfesystem ist eingeschränkt. Experten sehen indes in der Pandemie auch eine Chance zum Umdenken in der Drogenpolitik.

Frankfurt a.M., Hamburg (epd). Mit Flaschen- und Kleingeldsammeln läuft es auch nach den Lockerungen nicht wirklich, auch der Straßenverkauf von Obdachlosenzeitungen ruht. "Sie brauchen ständig Geld, aber die Einnahmequellen sind weg", beschreibt Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen Aidshilfe, die Situation der etwa 200.000 stark drogenabhängigen Menschen in Deutschland. Auch Diebstahl: schwierig in der Abstandsgesellschaft. Prostitution: gerade verboten.

Gleichzeitig gibt es erste Engpässe auf dem Schwarzmarkt, wissen Experten der Drogenszene, in der viele Abhängige zur Corona-Risikogruppe gehören und das Abstandhalten kaum funktioniert. Es gebe bereits Preissteigerungen bei Benzodiazepinen – Beruhigungsmittel, von denen viele zusätzlich abhängig sind. Verknappen sich die Drogen, "werden die Leute unvorsichtig und nehmen aus Verzweiflung alles, was sie in die Finger kriegen", sagt Schäffer. Dass viele nicht zahlen können, steigere auch das Gewaltpotenzial. Und: "Unbegleiteter Entzug kann auch tödlich sein." Zum Beispiel drohen epileptische Anfälle.

"Hilferuf der Suchthilfe"

Die Aidshilfe hat deshalb bereits Ende März zusammen mit den Bundesverbänden JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) und akzept für akzeptierende Drogenarbeit einen "Hilferuf der Suchthilfe" an die Politik geschrieben und darin einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu Substitutionsbehandlung gefordert. Bei dieser bekommen Süchtige Ersatzdrogen wie etwa Methadon ärztlich verschrieben und sind dadurch nicht mehr auf den Schwarzmarkt angewiesen. Etwa 80.000 Menschen in Deutschland werden substituiert, die Vergabe ist streng reguliert: Viele müssen für das Medikament täglich in eine Ambulanz oder Arztpraxis. Das aber birgt in Corona-Zeiten ein Infektionsrisiko.

Ein Brandbrief mit schnellem Ergebnis: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), setzte eine Veränderung der Betäubungsmittelverordnung während der Pandemie durch: Unter anderem dürfen Substitutionsärzte nach Ermessen Vorräte für bis zu 30 Tage mit nach Hause geben, und sie dürfen auch mehr Patienten betreuen.

Nachfrage stark gestiegen

Für Christine Tügel, Geschäftsführerin des Hamburger Vereins Jugendhilfe, ist das ein Paradigmenwechsel "wie zu HIV-Zeiten". Für ihre Kontakt- und Beratungsstelle Drob Inn hat sie ihn bereits genutzt, denn auch in Hamburg ist die Nachfrage nach Methadon und Co. stark gestiegen. Seit einem Monat hat das Drob Inn eine Substitutionsambulanz, in der auch Abhängige ohne Krankenversicherung behandelt werden. "Nun verändert sich offenbar die Einstellung zur Ausgabe von Ersatzdrogen."

Finanziert wird die Ambulanz von der Stadt – für die Dauer der Pandemie. "Jede Stadt kann die Entscheidung treffen, auch Nichtversicherten zu helfen", sagt Tügel. Fast 100 Menschen nutzen sie inzwischen, der Großteil hätte ohne Corona keinen Zugang.

Die schnelle drogenpolitische Hilfe der Drogenbeauftragten der Bundesregierung hat Dirk Schäffer von der Aidshilfe überrascht. "Hoffentlich bleibt davon etwas nach Corona." Für substituierte Drogenabhängige, die einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, sei es mit den toleranten Regeln zur Medikamentenmitnahme viel einfacher im Alltag. "Das würde sicherlich dazu führen, dass mehr Menschen erfolgreich in der Substitution stabilisiert werden können."