Der Leiter der Dokumentation Obersalzberg, Sven Keller, hält NS-Erinnerungsorte für wichtiger denn je – aber für kein Allheilmittel gegen Hass und Hetze. „Gedenkstätten allein werden nicht die Probleme lösen, die tief in der Gesellschaft verwurzelt sind“, sagte Keller im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er habe den Eindruck, dass manche denken, dass ein Besuch einer KZ-Gedenkstätte oder auch der Dokumentation Obersalzberg eine imprägnierende Wirkung habe. „Wir können einen wichtigen Teil dazu beitragen. Aber wir sind keine Wunderheiler.“ Da müsse sich vor allem gesamtgesellschaftlich etwas tun, mahnte Keller.
Ob Pflichtbesuche in Gedenkstätten und Erinnerungsorten für alle Schülerinnen und Schüler in Bayern dabei helfen, wisse er daher nicht, sagte Keller. „Wer mit Widerwillen an einen NS-Erinnerungsort kommt, bringt auch nur begrenzte Offenheit mit.“ Das gelte für die Lehrkräfte übrigens genauso wie für die Schülerinnen und Schüler. „Einen gewissen Prozentsatz von Menschen, die Verschwörungsideologien und damit auch antisemitischen Gedanken anhängen, müssen wir wohl einfach aushalten. Das wird nicht einfach verschwinden.“ Umso wichtiger sei es, dass die Mehrheit in der Gesellschaft dagegenhalte. Die Bildungsarbeit an NS-Erinnerungsorten unterstütze dabei diejenigen in ihrer Haltung, die gegen Hass und Hetze aufstehen.
Keller sagte außerdem, dass in der NS-Erinnerungsarbeit die Täterperspektive manchmal zu wenig beachtet werde. Das Besondere am Obersalzberg sei, dass hier ein zentraler Ort der NS-Machtausübung, der Inszenierung und der Vergemeinschaftung gezeigt werde. „Das sind Grundmechanismen dafür, wie Diktaturen, wie etwa das NS-Regime, funktionieren“, sagte Keller. Gerade jetzt, mit dem Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Europa, sei es wichtig, zu wissen, wo Verfolgung, Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung beginnen. „Wir müssen wissen, wie Machtmechanismen funktionieren und wie Verfolgung beginnt – auch im Kleinen, vor der eigenen Haustür“, mahnte Keller.
Die Dokumentation Obersalzberg wurde 1999 eröffnet, feiert also in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Dazu wird am Sonntag (20. Oktober) die Sonderausstellung „25 Jahre Dokumentation Obersalzberg. 1999-2024“ eröffnet. Sie ist bis 16. März 2025 zu sehen. Der Obersalzberg oberhalb von Berchtesgaden war ab 1933 Feriendomizil von Adolf Hitler und NS-Funktionären. Später wurde das Gelände zum „Führersperrgebiet“ ausgebaut. In Hitlers „Berghof“, der als zweiter Regierungssitz neben Berlin galt, traf Hitler Entscheidungen zu Krieg und Völkermord. Seit 1999 haben rund 3,4 Millionen Menschen die Dokumentation besucht, allein seit der Wiedereröffnung nach einer umfassenden Erweiterung im Herbst 2023 waren es mehr als 235.000 Besucher. (01/3108/19.10.2024)