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Doku “Das Kino sind wir” über die Geschichte der Filmläden

Lange bevor Streamingdienste die tägliche Unterhaltung prägten, diente das Kino auch als Sprachrohr für Aktivisten. “Das Kino sind wir” erzählt exemplarisch die Geschichte des Filmladen Kassel – und lässt ratlos zurück.

Dienstags um zehn Uhr ist Filmladen-Plenum. Jeder darf mitmachen, Geld gibt es keines zu verdienen, dafür aber viele Diskussionen zu bestreiten und hoffentlich auch ein paar neue, horizonterweiternde Erfahrungen zu machen. So startete in den frühen 1980er-Jahren der Filmladen Kassel e.V., eine Filminitiative, die aus einer linken Perspektive neu aufs Kino zu blicken versprach.

So oder so ähnlich gibt es auch heute noch viele Initiativen im Filmbereich und in anderen Kulturfeldern. Dass sich seitdem dennoch einiges geändert hat, zeigt “Das Kino sind wir” von Livia Theuer, ein Film über die Geschichte des Filmladens Kassel.

Die Mitglieder des Filmladen-Kollektivs sind selbst Aktivisten und Filmemacher. Ihr Aktivismus ist der Aktivismus der neuen sozialen Bewegungen: Umweltschutz, Frauenbewegung der Zweiten Welle, schwul-lesbische Emanzipation, Dritte-Welt-Bewegung. Dadurch ist bereits ein Teil der Spannbreite dessen angezeigt, was im Filmladen auf der Leinwand zu sehen ist: Filme von Frauen, das queere Kino der Zeit, Filme aus Afrika, Lateinamerika und Asien sowie die heute kaum noch rezipierten aktivistischen Filme der Umweltbewegung. Dokumentarische Formen stehen oft im Zentrum. Aber auch die vom Alltagsbetrieb des Mainstreamkinos ignorierte Filmgeschichte hat einen festen Platz im Filmladen.

Die Filmbranche empfing den Filmladen nicht gerade mit offenen Armen. Anfangs arbeiteten die Verleiher nicht mit ihnen zusammen, weil sie Repressionen der Branche fürchteten, aber auch politisch eckt das eine oder andere Programm an. Dennoch fand das Kino sein Publikum – und begann sich über die Jahre hinweg zu professionalisieren. Neue Säle werden eröffnet, das Programm verlagert sich von aktivistischen Amateurproduktionen hin zu aktuellen Arthouse-Hits. Den alten Spirit hielten bald nur noch gelegentliche Festivals und Sonderprogramme am Leben. Schließlich schlug die Kinokrise zu, und dann auch noch Corona. Wie es weitergeht und wie man vor allem eine jüngere Generation für das Kino abseits der Multiplexe begeistern kann, weiß momentan niemand.

Diese Geschichte könnte man, mit kleinen Abweichungen und einem oft weniger erfreulichen Ausgang, deutschlandweit anhand dutzender, wenn nicht hunderter Kommunaler Kinos und Off-Kinos erzählen. Die des Filmladens schildert Theuer einerseits mithilfe von Interviews, andererseits holt sie aber auch Regisseurinnen und Regisseure vor die Kamera, deren Filme für den Filmladen prägend waren und die sich mit dem Kino bis heute verbunden fühlen.

Monika Treut schwärmt von Zeiten, als die Menschen Kino noch mit Haut und Haaren lebten, Ulrike Ottinger legt Wert darauf, dass man ihre bildgewaltigen und vor allem auch detailversessenen Filme nur auf der großen Leinwand angemessen rezipieren kann. Filmausschnitte aus den Werken von Treut, Ottinger und anderen treten zwischen die Interviewpassagen. Implizit, gelegentlich auch explizit schwingt die Frage mit, wo solche, die Formatierung der Fernsehsender und Förderinstitutionen sprengenden Filme in Zukunft gezeigt werden; oder, ob sie überhaupt noch gedreht werden.

“Das Kino sind wir” ist während der Corona-Pandemie entstanden, zu einer Zeit also, als die Aussichten fürs Kino besonders düster waren und alle Welt davon ausging, dass die Streaming-Plattformen ihr Schicksal besigeln werden. Nun stecken diese selbst in der Krise, ohne dass das Kino davon nennenswert profitiert hätte. Die Ratlosigkeit ist in den letzten Jahren eher noch gewachsen. In einer solchen Situation auf eine Zeit zurückzublicken, in der das Kino sich selbst als Ort einer Gegenöffentlichkeit begriff, ist naheliegend. Dass dabei gleichwohl an allen Ecken und Enden die Nostalgie-Falle lauert, weiß Livia Theuer sehr wohl; bewusst fängt sie auch Stimmen aus der neuen Generation ein.

Dem Eindruck, dass die goldenen Zeiten der politisierten Off-Kinokultur vorbei sind, kann man sich dennoch kaum entziehen. Letzten Endes hat wohl jede Kunstform und auch jede Inkarnation des Kinos ihre Zeit, die irgendwann vorbei ist. Die Öffentlichkeit ist inzwischen durchaus wieder politisiert, aber die sozialen Konflikte werden an anderen Orten als im Kino ausgetragen – vor allem in den Sozialen Medien. Was aber könnten unter diesen Voraussetzungen die zukünftigen Aufgaben des Kinos sein? “Das Kino sind wir” ist ein Plädoyer dafür, sich zumindest so viele Optionen wie möglich offenzuhalten.