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Diese Nummer rettet Leben

Ob Unfall, Feuer oder Herzinfarkt: Vor 25 Jahren beschloss die EU die Einführung der einheitlichen Notrufnummer. Die „112“kann sogar vom Mobiltelefon aus angewählt werden, das kein Guthaben mehr hat

Miriam Drr - Fotolia

BONN –  „Unser Sohn hätte vielleicht gerettet werden können, doch 1969 gab es in Deutschland noch keinen funktionierenden Rettungsdienst.“ Der Unfalltod ihres Sohnes Björn im Jahr 1969 ließ dem Ehepaar Ute und Siegfried Steiger keine Ruhe: Der Achtjährige wurde auf dem Heimweg vom Schwimmbad von einem Auto angefahren. Der Krankenwagen brauchte fast eine Stunde, um ihn zu finden – zu spät für den Jungen. Er starb nicht an den Verletzungen, sondern wegen des Schocks.
Noch im selben Jahr gründeten die Eltern die Björn Steiger Stiftung und wurden damit zum Motor für ein besseres Rettungswesen sowie einheitliche Notrufnummern in Deutschland und darüber hinaus: Der Aufbau der Notruftelefonnetze an deutschen Straßen, die Einführung des Sprechfunks im Krankenwagen, der Aufbau der Luftrettung oder die Einführung der kostenlosen Handy-Ortung bei einem Notruf wurden von der Stiftung im schwäbischen Winnenden mit initiiert.

112: Ergänzung zu nationalen Notrufnummern

Im September 1973 beschlossen die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Bundesregierung die Einführung der bundesweit einheitlichen Notrufnummern 110 und 112. Vor 25 Jahren, also 1991, entschied auch der EU-Ministerrat, dass – zum Teil in Ergänzung zu den über 40 nationalen Notrufnummern – die 112 in allen EU-Ländern die nächstgelegene Notrufleitstelle erreichen muss.
Die Nummer gilt etwa bei Unfällen, Feuer, Vergiftungen oder Verdacht auf Schlaganfall und Herzinfarkt. Seit 2003 müssen die Telekommunikationsbetreiber den Rettungsdiensten auch Informationen zum Standort des Anrufers übermitteln, um ein rasches Auffinden von Opfern zu ermöglichen.
Es dauerte Jahre, bis die Beschlüsse durchgesetzt waren: Die EU-Kommisson musste Vertragsverletzungsverfahren gegen 15 Länder einleiten, weil entweder die Nummer 112 nicht verfügbar war, Angaben zum Anruferstandort nicht übermittelt oder die Anrufe wegen Sprachproblemen nicht angemessen bearbeitet wurden. Die meisten Verfahren konnten allerdings eingestellt werden, nachdem Abhilfe geschaffen wurde. Seit 2008 hilft die 112 europaweit kostenfrei aus dem Fest- oder Mobilfunknetz.
Selbst von Mobiltelefonen ohne Guthaben kann die Notrufnummer angewählt werden. Über das Mobiltelefon kann die 112 auch in vielen Staaten außerhalb Europas angerufen werden. Rund 40 000 Mal pro Tag wird die 112 in Deutschland angerufen. Doch nur rund ein Viertel der Europäer wissen laut Umfragen, dass die kostenlose Nummer in ganz Europa gilt. Dabei schneiden die Deutschen ziemlich schlecht ab: Laut Eurobarometer 2014 wussten nur 17 Prozent Bescheid.

Hilfsorganisationen sehen noch Verbesserungsbedarf

Auch sonst gibt es nach Meinung von Hilfsorganisationen weiteren Verbesserungsbedarf im Rettungsdienst: „Die Notfallhilfe muss ständig weiterentwickelt werden“, fordert die Björn Steiger Stiftung. Aktuell arbeitet sie daran, Deutschland flächendeckend mit dem neuen Baby-Notarztwagen „Felix“ auszustatten. Mit dem Projekt „Retten macht Schule“ lernen Siebtklässler die Herz-Lungen-Wiederbelebung.
Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) forderte kürzlich auch eine bundesweite telefonische Hilfestellung zur Wiederbelebung nach Kreislaufstillstand. Zu wenige Bundesbürger beherrschten diese Notfallmaßnahme. Wer die 112 anruft, soll von einem Experten telefonisch dazu angeleitet werden, eine Herzdruckmassage durchzuführen.
„Die Wiederbelebungsmaßnahmen in den Minuten bis zum Eintreffen der Rettungskräfte sind ganz entscheidend für die Überlebenschancen des Patienten“, erklärte ASB-Bundesgeschäftsführer Ulrich Bauch. „Durch die Unterstützung der Disponenten in den Leitstellen könnten mehr Laien direkt mit der Reanimation starten und Leben retten.“ Verpflichtend ist die telefonische Reanimationsanleitung laut ASB bislang nur für die Leitstellen in Bayern. „In allen anderen Bundesländern entscheiden die Kreise und Kommunen darüber.“