Im Schaufenster thronen drei Geigen auf weißen Podesten jeweils unter einer Glasglocke. Laufkundschaft macht hier in der Landsberger Altstadt jedoch nicht Halt. Der Geigenbauer Martin Schleske fertigt nur für einen festen Kundenstamm, knapp 30 Streichinstrumente pro Jahr. Für wen eine Geige ist, das spürt er. Sobald eine Geige fertig ist, geht er die Liste der Anfragen durch. Er ruft eine Person aus seiner „Wolke an Interessenten“ an: „Es könnte sein, dass Dein Instrument fertig ist.“
Weltweit sind Musiker des London Symphony Orchestra, des Seoul Philharmonic Orchestra in Südkorea, des Orquestra do Norte in Portugal und der Münchner Philharmoniker im Besitz einer Schleske-Geige. Auf vier Etagen baut er Geigen, Bratschen und Celli. Wer eine volle, staubige Werkstatt erwartet, irrt: Von der modern renovierten Altbauwerkstatt geht ein edler Flair aus. Auf jedem Stockwerk findet ein anderer Arbeitsschritt des Instrumentenbaus statt, und auf jedem Stockwerk begegnet man einer Facette von Martin Schleske.
200 Stunden Dienst an einer Schleske-Geige
Schleske wird 1965 in Stuttgart geboren, er stammt aus einer musikalischen Familie. Seine Mutter spielte Klavier, sein Vater Querflöte, die Schwester Cello. Er fängt mit sieben Jahren an, Geige zu spielen. Fast jeden Sonntag macht die Familie nach dem Kaffeetrinken Hausmusik. Mit 17 Jahren beginnt er dann die Geigenbauausbildung in Mittenwald. Für sein Handwerk sind besonders der Tastsinn und das Gehör wichtig, sagt er. Und das Vertrauen in sich und die Hände, „dass keine Verbissenheit reinkommt, sondern eine Selbstvergessenheit“.
Wenn der Meister den goldenen Wölbungshobel in kurzen Bewegungen über das Holz schiebt und sich das Holz kräuselnd vom Geigenboden schält, ist es ganz ruhig im Haus. Auch er ist ein stiller Typ, der gern tüftelt. Im zweiten Stock riecht es nach Lack. Dort forscht Schleske und prüft seine Werke auf Herz und Nieren. In seinem Labor untersucht er das Resonanz- und Schwingungsverhalten des Instruments und kann Letzteres messen. Hinter den Tönen, die eine Geige erzeugt, stecken komplexe physikalische Vorgänge.
Um mehr über Akustik zu lernen und bessere Geigen bauen zu können, hat Schleske von 1990 bis 1994 Physik studiert und mit Diplom abgeschlossen. Wenn der Mann mit den schlanken und doch kräftigen Fingern ein Instrument baut, wechselt er ständig zwischen Werkstatt und Labor. Rund 200 Arbeitsstunden fließen in den Bau einer Geige. Es ist seine Berufung. Für ihn heißt das: „Ich diene.“ So verbringt er gewöhnlich zwölf Stunden täglich in seiner Werkstatt. Wenn er danach erschöpft ist, ist das für ihn ein gutes Zeichen.
An drei Vormittagen kehrt Schleske seiner Werkstatt ganz bewusst den Rücken und geht zum Reitstall, um aufzutanken: „Ein Pferd zu reiten ist wie Geige spielen. Das Eintauschen und die Einheit mit dem anderen zu spüren, das ist das größte Glücksgefühl.“ Seit einiger Zeit sind Pferde seine große Liebe und Kraftquelle. Von Kaltblüter „Schorschi“ ist er besonders fasziniert. „Man hat das Gefühl, er hat keine Selbstzweifel. Ich habe sehr viele Selbstzweifel, und er hat so eine Selbstverständlichkeit und gibt mir Anteil an seiner Stärke.“
Das Göttliche im Klang der Geige
Ein Ikonenbild und ein selbst gemaltes Bild aus bunten Schichten Palmharz, Schellack und Öllack, das einem Kirchenfenster ähnelt, verraten, dass auch Spiritualität und Glaube in Schleskes Leben eine Rolle spielen. So sind das Eins-Werden mit Pferden und mit dem Klang der Geige zu inneren Bildern mit spiritueller Dimension geworden. Die Sehnsucht, Einheit zu spüren, sei etwas, das Gott in uns angelegt habe, etwas wonach sich der Mensch sehne, meint Schleske. Wer sich verbindet und Eins wird, der fühle etwas Göttliches.

Eine dünne Eisenleiter führt in den Dachspitz, wo sich der Geigenbauer morgens fürs Gebet und das Bibellesen zurückzieht – seine geistige Kraftquelle. Mit 13 Jahren fand er auf einer christlichen Freizeit in Schottland zum Glauben. „Ich war so stolz auf Jesus. In dem Sinne: So ist Menschsein. Ich war so stolz, dass jemand so sein kann.“ Daheim wurde der junge Martin dafür angegriffen, besonders vom Vater. Der Professor für Geisteswissenschaften war anti-gläubig und lehnte den aufkeimenden Glauben seines Sohnes ab.