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Die stille Botschaft im Weihnachtsrummel

In den vergangenen fünf Jahren sind rund 500 neue Weihnachtsmärkte entstanden, die Besucherzahl hat sich seit 2000 verdreifacht. Vieles ist reiner Kommerz – aber mitten darin sehen die Kirchen auch eine Chance für die Weihnachtsbotschaft

Wer in diesem Jahr den Bonner Weihnachtsmarkt besucht, kann dem Himmel ein ganzes Stück näher kommen. 72 Meter befördert dort der „Skyliner“ die Besucher in die Höhe. Die laut Betreiber weltweit höchste mobile Aussichtsplattform ist die neue Attraktion auf dem Markt, der sich im Laufe der Jahre fast über die gesamte Innenstadt ausgebreitet hat. So wie in Bonn entwickelten sich viele Weihnachtsmärkte immer stärker zu Volksfesten, beobachtet der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. Jedes Jahr böten die Märkte neue Superlative: „Das Publikum erwartet Steigerungsformen.“
Auch die Zahl der Weihnachtsmärkte, die der Deutsche Schaustellerbund auf rund 3000 schätzt, bricht einen Rekord nach dem anderen. Allein in den vergangenen fünf Jahren seien in Deutschland rund 500 neue Märkte entstanden, sagt DSB-Hauptgeschäftsführer Frank Hakelberg. Die Nachfrage scheint vorhanden. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Besucher auf rund 150 Millionen verdreifacht. Sie bescheren den Händlern laut DSB einen Umsatz im „einstelligen Milliardenbereich“.
Ein Grund für die wachsenden Besucherströme sei das verstärkte Marketing, sagt Hakelberg. „Die Städte fördern die Märkte mehr, und viele haben sie in ihr Tourismus-Konzept aufgenommen.“ Reiseveranstalter böten immer mehr Fahrten zu beliebten Weihnachtsmärkten in Städten wie Nürnberg, München, Freiburg, Lübeck oder auch Bonn. Hinzu komme, dass deutsche Weihnachtsmärkte im Ausland immer populärer würden. „Vor allem in Asien und ganz besonders in China steigt die Beliebtheit von Nordeuropa-Reisen im Winter“, stellt Hirschfelder fest.
Die Attraktivität der Weihnachtsmärkte erklärt sich Hakelberg damit, dass die Menschen in einer digitalen Welt wieder verstärkt Sehnsucht nach einem sinnlichen Erlebnis hätten. „Auf dem Weihnachtsmarkt werden die Menschen in eine eigene Welt mit Düften, Klängen und einer besonderen Deko entführt.“
Mit dem Rummel hatten die Vorläufer der heutigen Weihnachtsmärkte allerdings wenig gemeinsam. Die Märkte entstanden in größerer Zahl im 16. Jahrhundert in der Nähe von Kirchen, wo Händler Lebensmittel für das Fest verkauften. In Dresden begann die Tradition bereits 1434, als einen Tag vor dem Heiligen Abend ein freier Fleischmarkt genehmigt wurde. Wenig später gab es dann bereits Striezel-Gebäck, und im Jahr 1704 boten unter anderen Pfefferküchler, Töpfer, Drechsler, Spitzenmacher und ein Sensenschmied ihre Waren feil. Bereits im 19. Jahrhundert reimte ein Dichter über den Weihnachtsmarkt in Dresden: „Bei Puppen-Buden sieht man hier beinah mehr Leute stehen, als Menschen, nach Pflicht und Gebühr, zur lieben Betstund gehen.“
Ab den 60er Jahren begannen die Weihnachtsmärkte in Westdeutschland im Zuge des Wirtschaftswunders dann, Orte des Konsums zu werden, wie Hirschfelder beschreibt. Mit Weihnachten hätten die Märkte allerdings immer weniger zu tun. Zwar habe das kommerzielle Interesse bei den Weihnachtsmärkten immer schon im Vordergrund gestanden; dennoch seien sie ursprünglich christlich geprägt gewesen. „Inzwischen besteht kein ernsthaftes Ansinnen mehr, ein christliches Interesse zu integrieren.“ Der Kulturwissenschaftler beobachtet außerdem eine zunehmende „Karnevalisierung“, etwa wenn Besuchergruppen mit roten Weihnachtsmannmützen über die Märkte ziehen.
Mancherorts bemühen sich die christlichen Gemeinden, ein Gegengewicht zu setzen. Viele Innenstadtkirchen sind zur Weihnachtsmarktzeit geöffnet und bieten eine Oase der Stille inmitten des Trubels. So wie in Dortmund: „Hier fallen die Weihnachtsmarktbesucher quasi direkt in unsere Kirche“, erzählt Pfarrer Michael Küstermann. Der Platz vor der St.-Reinoldi-Kirche ist der Hauptveranstaltungsort in Dortmund.
Das kann anstrengend sein, aber auch spannend, findet Küstermann. Und es ist eine Chance: Denn die Zahl der Besucherinnen und Besucher, die die Reinoldi-Kirche täglich betreten, verzehntfacht sich schon mal während der Weihnachtsmarkt-Zeit. „Auf 1000 bis 2000 am Tag kommen wir locker“, sagt Küstermann. „Das heißt für uns: Wir müssen gut überlegen, was es heißen kann, das Evangelium zu verkünden.“ Viele Besucher nutzen die offene Kirche mit ihrer besonderen Atmosphäre für einen Moment des Durchatmens, der Besinnung. „Sie suchen genau das, was wir als Kirche eben zu bieten haben“, so der Pfarrer.
Auch das besondere Angebot, das die Reinoldi-Gemeinde im Advent macht, ist beliebt: „ViertelSternStunde“ heißt die Kurzandacht um 18 Uhr, die Pfarrerin Susanne Karmeier mit einem Team anbietet. Mehrere hundert Menschen folgen allabendlich der Einladung eines drei Meter hoher Stelzenläufers, der den Weg in die Kirche weist. Dort gibt es vertraute Adventslieder und „herzerwärmende Geschichten“, die den Kern der Weihnachtsbotschaft ausmalen. „Da sind ganz viele dabei, die sonst nie in die Kirche gehen“, hat Pfarrerin Karmeier beobachtet. „Manche kommen extra wegen dieser Andacht zum Dortmunder Weihnachtsmarkt.“
Um die christliche Weihnachtsbotschaft geht es auch bei einem Angebot, an dem sich die evangelische und katholische Kirche in Köln während der Weihnachtsmarkt-Zeit beteiligen: Hier sind im „Kölner Krippenweg“ über die Stadt verteilt mehr als 120 Krippen zu sehen. In katholischen und evangelischen Kirchen finden sich Krippenstationen, aber auch  in der Bahnhofsmission im Hauptbahnhof, in Museen  oder auch im Tierpark. Mit Hilfe eines Begleithefts können die Krippen individuell besucht werden; zudem gibt es zahlreiche Führungen. Manche Gemeinde bietet zusätzliche Aktionen an wie Führungen durch die Künstler, Konzerte oder eigene kleine Weihnachtsmärkte.

Informationen zur ViertelSternStunde: www.sanktreinoldi.de; zum Krippenweg in Köln: www.koelner-krippenweg.de.