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Die Revolutionärin des Tanztheaters: Vor 15 Jahren starb Pina Bausch

Ihre Arbeiten erzählen von Ängsten, Träumen, Freuden und Hoffnungen – nicht nur der Tänzer und Tänzerinnen, sondern auch der Zuschauer. „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“ – das war das Leitmotiv von Pina Bausch. Am 30. Juni jährt sich zum 15. Mal der Todestag der Tanzlegende, sie starb im Jahr 2009 im Alter von 68 Jahren.

Pina Bausch verband erstmals den Tanz mit den Genres Gesang, Pantomime, Artistik und Schauspiel zu einer eigenen Kunstgattung. Sie erfand jenseits des klassischen Balletts eine neue Körpersprache und damit verbundene Bewegungen und Bewegungsabläufe: eine Revolution in Sachen Tanz und Theater. Pina Bausch, so formulierte es die Tanzwissenschaftlerin Gabriele Klein einmal, hat den Tanz „aus der Sklaverei der Schönheit“ befreit.

Geboren 1940 in Solingen, entwickelt sie sich zu einer der wichtigsten und innovativsten Choreographinnen weltweit. Sie tanzt von klein auf, wird mit 14 Jahren an der Essener Folkwang-Hochschule ausgebildet. Mit 21 tanzt sie an der Metropolitan Opera in New York. Mit Beginn der Spielzeit 1973/1974 kommt sie als Leiterin der Tanzsparte an die Wuppertaler Bühnen.

Dort bildet sich zwar schnell eine Gruppe von Bewunderern und begeisterten Fans heraus. Besonders bei eher traditionell orientierten Besuchern aber stößt sie auf erbitterten Widerstand, der von Buhrufen im Theater über Angriffe wie Anspucken bis zu nächtlichem Telefonterror reichte. Auch Mitglieder des Orchesters und des Chores verweigern ihr Unterstützung. So kommt – und das erweist sich als Glücksfall für spätere Tourneen – Pina Bausch auf die Idee, die Musik über Band einspielen zu lassen.

Unter dem Namen Wuppertaler Tanztheater – Bausch hat gleich zu Beginn diese Bezeichnung gewählt – erfährt die Kompanie weltweit Anerkennung. Wuppertal wird zum Wallfahrtsort für Tanzbegeisterte aus der ganzen Welt.

Die Stadt bleibt zeitlebens ihr Wohn- und Arbeitsort: „Es gibt Städte, die sind wie Sonntagsstädte. Ich finde aber wichtig, konfrontiert zu sein mit der Wirklichkeit, weil man ohnehin so wenig draußen ist“, sagte sie in einem Interview. Material und Eindrücke sammelt sie zusammen mit ihren Tänzern und Tänzerinnen auf Reisen an viele Orte der Welt – meist auf Einladung der dort ansässigen Goethe-Institute.

Die Choreographin geht dazu über, ihren Tänzern und Tänzerinnen Fragen und Aufgaben zu unterschiedlichen Situationen zu stellen, so ist es in einigen Programmheften beschrieben: „Mach mal etwas ganz Kleines. Etwas abbrechen, was ist dann? Etwas Gefährliches mit einem niedlichen Gegenstand tun. Eine Geste, die etwas mit Hilflosigkeit zu tun hat.“

1980 wird Bausch mit „Arien“ erstmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen, weitere Einladungen folgen. Im Jahr 1984 erhält sie den Deutschen Kritikerpreis für „die Entwicklung neuer ästhetischer Maßstäbe, die weit über die deutsche Tanzszene hinausreichen“. Etliche Ehrungen kommen hinzu, darunter der japanische Kyoto-Preis und in Venedig der Goldene Löwe für ihr Lebenswerk. „Es ging und geht mir immer nur darum: Wie kann ich ausdrücken, was ich fühle?“, sagte sie in einem ihrer seltenen Interviews.

Der Tanzexperte und Pina-Bausch-Biograf Jochen Schmidt schreibt in seinem Nachruf: Der Name Pina Bausch stehe „für ein Theater der befreiten Körper und des befreiten Geistes, für ein Tanztheater der Humanität, das auf der Suche war nach Liebe, Zärtlichkeit und Vertrauen zwischen den Partnern – und nach einer tänzerischen Sprache, die in der Lage sein würde, jene Kommunikation zwischen den Menschen zu ermöglichen, zu denen die bekannten Sprachen nicht mehr fähig waren“.

Pina Bauschs Stücke sind Collagen und Montagen, Bilderfolgen an der Grenze zwischen Realität und Traum, mit vielen Parallelhandlungen, die gleichzeitig auf der Bühne stattfinden. Kinderspiele werden vorgeführt, Männer tragen Frauenkleider, aus Zärtlichkeit wird Gewalt und umgekehrt.

„Alles muss man anschauen, die Gegensätze, die Reibungen, das Schöne und das Schmerzliche“, so beschrieb sie ihre Arbeit selbst einmal. „Nichts darf man auslassen. Nur so kann man ahnen, in welcher Zeit man lebt. Es geht um das Leben und darum, für das Leben eine Sprache zu finden.“

„Arien“ zeigt die unglückliche Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem Nilpferd. In „Café Müller“ stolpern die Tänzer auf der Bühne um Tische und Stühle, oft mit geschlossenen Augen.

Pina Bausch arbeitete unermüdlich, oft bis zur Erschöpfung und wollte auch gerne noch nach den Proben mit ihren Tänzern und Tänzerinnen unterwegs sein. Ihr „Och, nee, nee, noch nicht nach Hause, erst noch en Weinchen – en Weinchen und ein Zigarettchen, aber nicht nach Hause, ne?“ fand sogar Eingang in eines ihrer Stücke.

Über 40 Werke hat sie für das Tanztheater Wuppertal choreographiert. Auf diesen Reichtum kann es auch nach ihrem Tod zurückgreifen.