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Die Macht der Bilder

Terroristen wissen seither noch besser, wie sie die Medien nutzen können

Diese Bilder bleiben: Wie sich die Flugzeuge in die Türme des New Yorker World Trade Centers bohren, wie  die Menschen in höchster Not in die Tiefe springen und wie die „Twin-Towers“ schließlich zusammenbrechen – in einer Wolke von Rauch und Asche.
In Endlosschleifen auf allen TV-Kanälen übertragen, als Symbole einer Zeitenwende in Ausstellungen und Büchern präsent, wecken diese Bilder auch 15 Jahre nach dem 11. September 2001 noch Emotionen. „Die Terroristen haben erkannt, welchen Erfolg die Bilder des 11. September 2001 hatten“, analysiert der Medienwissenschaftler Jo Groebel. Seitdem hätten Gleichgesinnte gelernt, „wie man Terror inszeniert“.
Terrorismus und Medien: Beide haben mehr miteinander zu tun, als es den Medien lieb sein kann. Schon lange vor 9/11 haben Terroristen die Medien bewusst benutzt: etwa bei Olympia 1972 in München oder 1977 mit den Fotos des Entführungsopfers Hanns Martin Schleyer. Doch damals konnten die Behörden die Verbreitung der Bilder noch stärker kontrollieren: Die Zahl der Fernsehkanäle war begrenzt, die der Kameras vor Ort ebenso.

Täter haben Kontrolle über die Bilder

Heute führt die Konkurrenz der Medienkanäle zum Wettlauf um das emotionalste Bild und die sensationellste Nachricht: „Es gibt heute kaum noch Ereignisse, die der Welt nicht sofort Bilder liefern“, sagt Claus Kleber, Moderator des ZDF-heute-journals. Und Groebel ergänzt: Heute seien entweder von vornherein Kamerateams oder Smartphones vor Ort, oder die Terroristen drehten eigene Videos. „Die Kontrolle über das Bildmaterial ist massiv in die Hände der Akteure übergegangen."
Brennpunkte und Sondersendungen – damit räumen die Medien allerdings den Tätern genau die Bedeutung ein, die diese beanspruchen: eine Axtattacke oder ein Machetenangriff – und schon hält die Welt den Atem an. Das wiederum vergrößert Hysterie und Angst der Bürger – ein Teufelskreis, ein Krieg im Kopf.
Hinzu kommen die sozialen Medien, die für Echtzeit-Kommunikation sorgen: Neuigkeiten, aber auch Gerüchte und Falschmeldungen verbreiten sich in Windeseile und setzen Behörden, Sicherheitskräfte und klassische Medien massiv unter Druck. Jeder kann zum Konsumenten eines hochdramatischen Spiels werden – oder sogar zum Mitspieler, der Bilder oder Informationen hochlädt.
Wie lässt sich diese Spirale durchbrechen, da Zensur im Zeitalter des Internet keine Chance hat? „Die Medien können sich ihrer Verantwortung nicht entziehen“, meint der Jenaer Kommunikationspsychologe Wolfgang Frindte. „Sie müssen berichten, und egal wie sie berichten, es wird immer für die Terroristen eine Gelegenheit sein, sich bestätigt zu fühlen.“ Qualität und Analyse seien gefragt.

 

Die Langsamkeit wiederentdecken

Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, appelliert deshalb an die Journalisten, die Langsamkeit wiederzuentdecken. Nachrichtenmann Kleber stimmt zu: Geschwindigkeit sei „zum fragwürdigsten Maßstab unseres Handwerks“ geworden, schrieb er in der „Süddeutschen Zeitung“. Es müsse bei Terroranschlägen nicht immer pausenlos gesendet werden, rät er. Und Sondersendungen seien erst sinnvoll, wenn Zusammenhänge geliefert werden könnten. Kleber: „Wir dürfen uns nicht auf ein Rattenrennen mit Social Media einlassen.“