Artikel teilen

Die Kirche in Deutschland auf dem Weg zum Heiligen Jahr

Mit über 30 Millionen Pilgern aus aller Welt rechnet der Vatikan zum Heiligen Jahr 2025 – rund 10 Millionen mehr als im Heiligen Jahr 2000. Knapp 1,5 Millionen werden allein aus Deutschland erwartet.

Mit der Öffnung der Heiligen Pforte beginnt am 24. Dezember im Petersdom das Heilige Jahr. Papst Franziskus hofft auf “eine ethische, moralische, soziale und kulturelle Wiedergeburt” durch dieses Festjahr, das unter dem Motto “Pilger der Hoffnung” steht. Was muss geschehen, damit der Funke hierzulande überspringt und Menschen zu diesem Anlass nach Rom reisen?

Der Bochumer Theologe Matthias Sellmann hofft auf eine “gastfreundliche Einladung” – “zu dieser göttlichen Kraft, die man dort erfahren kann und zu einem menschenfreundlichen Papst, der eine Botschaft für die ganze Welt hat”. Schließlich spanne das Heilige Jahr einen weiten Bogen, unter dem sich unterschiedlichste Menschen versammeln könnten – Pilger, spirituell Suchende, Liebhaber von Architektur und großen Liturgien, erklärt der Leiter des Bochumer Zentrums für angewandte Pastoralforschung (zap).

In Rom könne man “Orte großer geistlicher Kraft” finden. “Wir wissen, dass eine Romreise etwas mit einem macht – auch bei Menschen, die sich als kirchenfern verstehen”, sagt Sellmann. Angst vor zu viel Rummel durch einen Pilgeransturm hat der Theologe nicht. Vielmehr sei es “ein Grund zur Freude, wenn viele Menschen – auch nicht religiös Gebundene – noch ein Restvertrauen haben, dass sie in Rom etwas Positives für ihren Glauben und ihr Leben mitnehmen können”.

Rom sei immer eine Reise wert – erst recht im Heiligen Jahr, findet auch Britta Baas, Sprecherin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Das Glaubensevent erinnere Menschen aus aller Welt daran, “dass sie Pilgernde sind, ‘Pilger der Hoffnung’, wie Papst Franziskus sagt”. Hoffnung sei ein zentrales Wort im Christentum.

Gerade im Urlaub suchten Menschen Kirchen auf und öffneten sich für neue und besondere Erfahrungen, auch in der Ewigen Stadt. “Eine vielversprechende Kirchentür, ein heiliger Ort in der Natur, die Begegnung mit einem offenen Menschen – das sind unsere ‘Ohhh’-Momente! Sie gehören in unser Sehnsuchtsgepäck.” Besonders in Zeiten von Krisen sei das sehr wichtig: “Die Sehnsucht geht nicht weg, wenn die Kirche bröckelt”, sagt Baas.

Weihbischof Rolf Lohmann, der für das Heilige Jahr Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, erhofft sich Impulse, “die zu einem Dialog zwischen Rom und Deutschland führen – gerade, was die weitere Fortsetzung von synodalen Prozessen angeht”.

Wer sich nicht alleine auf diesen Weg machen möchte, der kann sich vielerorts Gleichgesinnten anschließen. So organisiert das Bistum Regensburg in der Osterwoche 2025 eine Diözesan-Pilgerreise und eine Jugendwallfahrt in die Ewige Stadt. Im Oktober lädt auch das Bistum Münster zu einer Bistumswallfahrt. Das Erzbistum Köln veranstaltet in den Herbstferien 2025 eine Wallfahrt nach Rom, die sich besonders an Familien richtet.

Reges Interesse an Rom-Wallfahrten im Heiligen Jahr beobachtet das Bayerische Pilgerbüro, so dessen Geschäftsführerin Irmgard Jehle. Es seien viele Diözesanwallfahrten in Planung, besonders aus Süddeutschland; aber auch Pilgergruppen aus Einzelpfarreien zeigten ein starkes Interesse am Heiligen Jahr.

Für das Unternehmen dürfte es ein besonderes Jahr werden: Es wurde zum Heiligen Jahr 1925 als “Bayerisches Landeskomitee für Pilgerfahrten” gegründet, um Rom-Wallfahrten zu ermöglichen. Damals reisten Tausende bayerischer Katholiken mit acht großen Pilger-Sonderzügen in die Ewige Stadt. Früher wie heute im Programm: die großen Kirchen, der Petersdom mit den Apostelgräbern und der vom Barockbaumeister Bernini gestaltete Petersplatz mit seinen umarmend wirkenden Kolonnaden. Für Jehle wird dort deutlich, was “katholisch” bedeute: “eine weltumspannende, einladende und für alle offenstehende Kirche”.

Auch heute seien solche Rom-Reisen ein “großes Gemeinschaftserlebnis”. Wer das Zentrum der Christenheit besuche, erlebe sich als Teil der Weltkirche und werde für den eigenen Glaubensalltag gestärkt. Aber Jehle ist realistisch: “Wer mit Kirche nichts anfangen kann, dem wir das Heilige Jahr kaum etwas sagen.”

Weniger als die Hälfte der Deutschen sind noch Mitglied einer Kirche. Ob sich Menschen vom Heiligen Jahr ansprechen und zu einer Pilgerreise inspirieren lassen, hängt für den Magdeburger Religionssoziologen Jochen Töpfer auch damit zusammen, “dass die katholische Kirche dafür erstmal wieder attraktiver werden müsste”. Das fange mit der Gemeinde vor Ort an. Wer dort nicht aktiv sei, bekomme wohl auch kaum etwas vom Heiligen Jahr und dessen Angeboten mit.

Für den Experten müsste die Kirche viel niederschwelliger auf das Heilige Jahr aufmerksam machen. Das Motto “Pilger der Hoffnung” setze bereits eine sehr starke Identifikation mit der Kirche voraus und grenze die mögliche Zielgruppe ein, findet Töpfer. Das Wort “Pilger” sei zudem “alt und schwer, damit kann man sich nicht identifizieren. Aber das Wort ‘Hoffnung’ ist gut – und sehr wichtig in unserer Zeit”.

Die Kirche sollte sich auch über ihren eigenen Dunstkreis hinaus zeigen, sagt Töpfer, der in einem Bistum mit nur rund drei Prozent Katholiken lebt. Um Menschen zu erreichen, sollte sie “nicht altbacken daherkommen”, sondern sich offener präsentieren – mit “frischen Leuten”, die Menschen auch über die sozialen Medien “abholen”. Auch wenn man mit Kirche nichts am Hut habe – Sinnfragen beschäftigten schließlich viele Menschen.