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Die Frage nach Jesu Geburtstag

In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember feiern die christlichen Kirchen des Westens Jesu Geburt. Historisch zu belegen ist das Datum nicht. Trotzdem gibt es jede Menge Mythen und Traditionen dazu.

Keine Behörde notierte den Zeitpunkt der Geburt Jesu. Dass Christinnen und Christen am 24. Dezember Heiligabend feiern, hat sich erst im Laufe der Zeit ergeben
Keine Behörde notierte den Zeitpunkt der Geburt Jesu. Dass Christinnen und Christen am 24. Dezember Heiligabend feiern, hat sich erst im Laufe der Zeit ergebenepd-bild / Paul-Philipp Braun

Keine andere Zeit ist so sehr von Mythen und Legenden geprägt wie die Weihnachtszeit. Dabei vermischen sich religiöse Motive und Volksbräuche bis zur Unkenntlichkeit. Fast ein Viertel des gesamten Jahrs, genau 80 Tage, umfasst der ursprüngliche Weihnachtsfestkreis der abendländischen Kirche. Die Festzeit beginnt für uns mit dem 1. Adventssonntag. Auch scheint es klar, wann die Weihnachtszeit endet. Für die Protestanten endet sie mit dem letzten Sonntag nach Epiphanias, für die Katholiken dagegen mit dem 2. Februar, der in der katholischen Liturgie als „Fest der Darstellung des Herrn im Tempel“ (Mariä Lichtmess) gefeiert wird und 40 Tage nach Weihnachten liegt.

Früher dauerte der Advent 40 Tage

Diese Abgrenzung ist jedoch neueren Datums. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) begann der weihnachtliche Festkreis in der katholischen Liturgie mit dem 11. November. Nach dieser alten Ordnung gab es nicht vier, sondern sechs Adventssonntage. Rechnet man vom 1. Weihnachtstag zurück, so kommt man auf 40 Tage bis zum 11. November.

Die 40-tägige Adventszeit geht auf den Mailänder Bischof Ambrosius (339 bis 397) zurück. Aus Respekt vor ihm verschonte die Liturgiereform nach dem Konzil das Bistum Mailand mit der liturgischen Verkürzung der Adventszeit. In den Gottesdiensten des Erzbistums Mailand beginnt also weiterhin die Adventszeit am 11. November.

Bibel macht keine Aussagen über das Datum der Geburt Jesu

Warum aber wird Weihnachten am 25. Dezember gefeiert, obwohl die Bibel keine Aussagen über das Datum der Geburt Jesu macht? Diese Frage ist nicht mit historischen Fakten zu beantworten. Der Geburtstag Jesu ist eine komplexe Konstruktion, die den Weg der Etablierung des Christentums hin zur führenden Religion im Römischen Reich widerspiegelt.

Im Weihnachtsfest treffen verschiedene Traditionen von Festen zusammen. Um an die Ursprünge heranzukommen, muss man die verschiedenen Kulturkreise ausein­anderhalten, die an diesem Fest beteiligt sind: Juden, Römer, Germanen und – natürlich – die Christen. Wer aber hat welchen Anteil?

Konstruktion von Stammbaum und Geburtstag Jesu

Das Christentum versteht sich als eine Geschichtsreligion. Christliche Identität lebt deshalb von geschichtstheologischen Konstruktionen. Geschichtliche Betrachtungen in alten Zeiten waren aber keine wissenschaftlichen Darstellungen. Die frühchristliche Geschichtsschreibung verstand sich als Wegweiser durch die Heilsgeschichte und funktionierte nach dem Muster von Verheißung und Erfüllung.

Krippenspiel des Staats- und Domchors Berlin gemeinsam mit Musikerinnen und Musikern der lautten compagney im Berliner Dom am 26.12.2022
Krippenspiel des Staats- und Domchors Berlin gemeinsam mit Musikerinnen und Musikern der lautten compagney im Berliner Dom am 26.12.2022epd-bild / Hans Scherhaufer

Jesus selbst, der historisch kaum fassbar ist, wird im Neuen Testament als Erfüllung älterer Verheißungen aus den prophetischen Büchern des Alten Testaments verstanden. Das Matthäusevangelium konstruiert einen Stammbaum Jesu, der ihn als Nachkommen des Königs David präsentiert. Hintergrund ist die religiöse Erwartung der damaligen Zeit nach einem Messias, der das Großreich Davids wiederherstellt.

Nach diesem Muster wurden auch Geburtstage konstruiert. Im antiken Judentum gab es den Grundsatz, dass bei großen Persönlichkeiten Geburtstag und Sterbetag auf den gleichen Tag im Jahr fallen müssen. Bischof Hippolyt von Rom legte deshalb schon im Jahr 222 den Geburtstag und den Sterbetag Jesu auf den 14. Nisan des jüdischen Kalenders.

Schöpfung und Geburt an einem Tag

Dieses Datum bezog sich auf eine jüdische Schriftauslegung, nach der Isaak, der in der Alten Kirche Vorbild für Jesus war, am 14. Nisan geboren wurde. Außerdem wurde der 14. Nisan als Tag der Erschaffung der Welt, als erster Schöpfungstag also, angenommen, und Christus als derjenige verstanden, durch den die Welt eine Neuschöpfung erfährt.

Der 14. Nisan liegt im Frühjahr. Aber in Rom, wo seit Hippolyt der 14. Nisan als Jesu Geburtstag gefeiert wurde, ist dieser Geburtstag nur gut 100 Jahre später auf den 25. Dezember des Julianischen Kalenders gelegt worden.

Der Grund dafür liegt in der veränderten Rolle des Christentums, die sich im Rom des vierten Jahrhunderts vollzogen hatte. Von Kaiser Konstantin war es kurzfristig zur Staatsreligion erklärt worden, wurde von seinem Nachfolger wieder verboten und verfolgt, und setzte sich spätestens um 380 endgültig als Staatsreligion durch.

Im Römischen Reich wurde nachgerechnet

Das Römische Reich hatte aber bereits seit 275 einen von Kaiser Aurelian eingeführten staatlichen Feiertag mit einer zivilreligiösen Note: den 25. Dezember als Geburtstag des Sol Invictus, der unbesiegbaren Sonne. Ebenso galt der 25. Dezember auch als Tag der Geburt des Mitras, dem Begründer eines orientalischen Kultes, der bei römischen Soldaten sehr beliebt war.

Mit dem Datum des 25. Dezember gab es nun ein Problem: Bischof Hippolyt hatte den 14. Nisan des Jahres 30 nach dem Julianischen Kalender als den 25. März rekonstruiert. Jetzt aber galt plötzlich der 25. Dezember als Geburtstag. Man half sich mit einem theologischen Trick: Wenn der 25. Dezember der Geburtstag ist, dann muss der 14. Nisan, der genau neun Monate vorher liegt, der Tag der Empfängnis gewesen sein. Da Jesus als Gottessohn präexistent ist, ist nicht der Tag der Geburt als Beginn seines Erdenlebens anzusehen, sondern der Tag der Empfängnis, da er die eigentliche Inkarnation in die Daseinsweise als Mensch darstellt.

Festlegung des Datums schon im frühen Christentum

Seit dem Konzil von Nicaea 325 und der dort beschlossenen Lehre von der Trinität, die eine Präexistenz Jesu bereits vor der Empfängnis behauptete, waren die theologischen Voraussetzungen für diese Deutung vorhanden. Der 25. Dezember war gerettet und der 14. Nisan in seiner Bedeutung als Beginn und Ende des irdischen Lebens nicht verworfen.

Gemälde "Anbetung der Hirten", von Bartolome Esteban Murillo (1618–1682)
Gemälde "Anbetung der Hirten", von Bartolome Esteban Murillo (1618–1682)akg-images / Joseph Martin

Diese theologische Begründung aus dem vierten Jahrhundert belegt, dass das Datum des Weihnachtsfests am 25. Dezember auf dem Boden des frühen römischen Christentums entstanden ist. Neuere Versuche, den Ursprung von Weihnachten ins Mittelalter zu verlegen und eine längere heidnisch-germanische Vorlaufzeit anzunehmen, sind wenig glaubwürdig. Sie greifen zurück auf das germanische Julfest, das in den Tagen vor und nach der Wintersonnenwende gefeiert wurde. Der Begriff „Weihnachten“ als Pluralwort beziehe sich nicht auf eine Nacht, sondern auf mehrere „geweihte Nächte“.

Warum die These vom Julfest nicht trägt

Diese These stammt aus der volkskundlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und wurde von den Brüdern Grimm vertreten. Sie beruht darauf, dass es im dämonischen Weltbild des Mittelalters eine Vorstellung von sogenannten „Zwölfnächten“ gegeben hat. Diese waren aber nicht vor und nach dem 21. Dezember, wie es die Vorstellung vom Julfest voraussetzt, sondern zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar – also auf dem Boden des christlichen Kalenders entstanden. Der Ursprung dieser Nächte ist demnach nicht heidnisch, sondern ein christlicher Volksbrauch. Die Zwölfnächte waren eine Zeit voller magischer Praktiken und führten zu Ängsten unter der Bevölkerung.

In dieser Zeit galten Arbeitsverbote und man versuchte die Dämonen mit Umzügen, Lärm und Feuerwerken zu bändigen. Unsere Silvesterbräuche gehen darauf zurück.

Die Raunächte enden mit den Sternsingern

Am Ende aber siegt das Gute: An Epiphanias werden die magischen und dämonischen Zwölfnächte mit den Umzügen der Sternsinger beendet. Das Wilde und Dämonische lässt sich bändigen. So funktioniert Dämonenglauben im mythologischen Weltbild des Mittelalters: Dämonen gibt es, aber man kann mit ihnen leben. Sie bekommen ihre fest zugewiesene Zeit im Jahr, und wenn diese Zeit abgelaufen ist, werden sie von der Kirche gebändigt. Das ist die christliche Entmythologisierung der mythologischen Chaoskräfte.

Aber neue Mythen sind immer weiter im Entstehen. Weihnachtsbräuche sind Ursprung für viele neue Symbolwelten. Davon weiß nicht nur der Einzelhandel ein Lied zu singen. Das Brauchtum rund um das Weihnachtsfest war immer ein Spiegel der Zeit und der Gesellschaft, und viele heutige Weihnachtsbräuche spiegeln das Leben der Bürgerfamilie im 19. Jahrhundert wider.