Hamburg. An einem Sonntag im Mai wollte Frank Wechsel nur schnell Brötchen kaufen, als ihn vor der Bäckerei ein Fotograf ansprach. Der Mann hatte eine Kamera dabei, ein Mikro und Karten mit Sprüchen und fragte Wechsel, ob dieser nicht Lust habe, sich einen Spruch auszusuchen und ihn in die Kamera zu halten. Wechsel wollte und entschied sich spontan für den Bibelvers Matthäus 28, 20: „Und siehe ich bin bei Euch bis an der Welt Ende.“
Aus der kurze Begegnung sind ein Fotomotiv und ein Videoclip geworden, die sich viel weiter verbreitet haben, als beide Männer ahnten. „Rissen macht Mut“ heißt die Aktion, der Fotograf war Tobias Stäbler. Er ist nicht nur Profi-Fotograf, sondern aktuell auch Vikar der Johannesgemeinde in Rissen, für die er die Aktion ins Leben gerufen hat.
Dann zog er los
Während seines Vikariats sollte er ein Projekt umsetzen Weil die Corona-Pandemie gerade für Verunsicherung sorgte, beschloss er, anderen Mut zu machen – und zwar „nicht nur in den Grenzen der Sonntagsgemeinde“, wie er sagt, sondern auch in Rissen und Umgebung. Also suchte er Sprüche, zog damit los und sprach Leute an.
Nicht alle wollten mitmachen, berichtet er. Aber überwiegend seien die Reaktionen positiv gewesen. Er achtete darauf, möglichst unterschiedliche Menschen zu fotografieren, es sollte „bunt“ werden. Auf den Bildern zu sehen sind nun unter anderen Schüler, Rentner, eine Ärztin, eine Yogalehrerin, ein Dekorateur, ein Asylbewerber und ein Skater. In seinem Beruf als Fotograf hat Stäbler oft inszenierte Motive fotografiert. Diese Aktion sollte spontan sein, „schnell und authentisch“, sagt er. Niemand ist vorbereitet, niemand hat sich schick gemacht. Jeder muss auswählen, was ihn anspricht.
Die Sprüche hat Stäbler aus vielen Quellen zusammengetragen. Manche nahm er aus der Bibel, dem Gesangbuch oder von Theologen wie Bonhoeffer, andere haben keinen christlichen Bezug, sondern stammen aus Literatur, Kunst und Unterhaltung. Auch Humorvolles ist dabei wie „Der Ball ist rund, und das Spiel dauert 90 Minuten“. Man hätte auch seinen eigenen Spruch aufschreiben können, aber das tat kaum jemand.
Auch christliche Texte gefragt
„Es hat mich immer sehr interessiert, wer welche Sprüche aussucht“, sagt Stäbler. Etwa ein Drittel der Fotografierten wählte christliche Texte. Ein stark tätowierter junger Mann entschied sich zum Beispiel für einen Text von Jochen Klepper. Von dem Dichter hatte er noch nie gehört, aber die Worte sprachen ihn an.
Zu sehen in ganz Rissen
Mit Wechsel hat Stäbler einen Mann erwischt, dem das Mutmachen auch am Herzen lag. In dem Video, das Stäbler von der Begegnung gemacht hat, liest er den Matthäus-Vers vor und ergänzt: „Wir sind in einer großen Krise, aber diese Krise ist nicht das Ende der Welt.“
Sieben Tage hat Stäbler fotografiert, rund 80 Motive sind dabei entstanden. Durch eine Finanzierung der „Rissener Runde“, eines Zusammenschlusses von Einrichtungen im Stadtteil, konnte er daraus Postkarten und Plakate machen, die nun in ganz Rissen zu sehen sind, ebenso wie im Internet auf Instagram.
Auf Plakaten im Bahnhof
Wechsel fand es interessant, die Bilder hinterher zu sehen. „Viele dieser Menschen hat man schon mal gesehen“ , sagt er. Auch die Hintergründe erkenne man schnell wieder und habe so gleich einen Bezug dazu. „Damit kann jeder Rissener etwas anfangen“, sagt er. Zwei Motive schafften es sogar auf die großen Plakatwänden an den Bahnhöfen Blankenese und Rissen. Bei den beiden Abgebildeten hat Stäbler extra noch einmal nachgefragt, ob sie einverstanden sind. Das grundsätzliche Einverständnis hatte er sich von allen Fotografierten bereits geholt.
Mit seinem Projekt wollte er auch die Kirche in der Öffentlichkeit ins Gespräch bringen und Menschen erreichen, die ihr fernstehen. Seit die Plakate hängen, hat Stäbler andere Rissener gefragt, ob sie die Aktion kennen. Manche erzählten ihm daraufhin, dass sie sich gefragt hätten, welchen Spruch sie gewählt hätten. Einige erinnerten sich dabei wieder an ihren Konfirmationsvers.