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Die „Fab Four“ im Lotussitz

Die Beatles interessierten sich gegen Ende der 1960er Jahre zunehmend für fernöstliche Spiritualiät und Traditionen. Eine junge Musikwissenschaftlerin hat den Einfluss der Religion auf ihre Musik erforscht

Im Sommer 1967, die Beatles waren längst auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, suchten sie die Nähe zu fernöstlicher Spiritualität und Philosophie. Das schlug sich in vielen ihrer Songs nieder. Die Musikwissenschaftlerin Clara Becker (22) hat sich in ihrer Bachelor-Arbeit „Indische Klänge und die Musik der Beatles“ im Studiengang „Musikwissenschaft/Sound Studies und Komparatistik“ mit dem Thema befasst. Im Interview mit Sabine Kleyboldt berichtet sie über ihre Erkenntnisse.

Im August 1967 lernten die Beatles den indischen Guru Maharishi Mahesh kennen. Wie kam es dazu?
Sie hatten sich schon länger für indische Musik, Tradition und Spiritualität interessiert, wovon verschiedene Lieder zeugen. Die vier trafen Maharishi Yogi am 24. August 1967 in London, wo er eine Vorlesung über Transzendentale Meditation hielt. Danach vereinbarten sie mit ihm, am nächsten Tag nach Nordwales zu reisen, um an seinem zehntägigen Meditationsseminar teilzunehmen.

Die „Fab Four“ im Lotussitz? Wie muss man sich das vorstellen?
Unterkunft und Essen waren extrem einfach, nichts von dem Luxus, den die vier inzwischen gewohnt waren. Es war für sie ein bisschen wie die Rückkehr auf die Schulbank, sagte Paul McCartney später. Aber sie bekamen einen ersten Einblick in die Lehre des Yogi. Doch am 27. August, zwei Tage nach ihrer Ankunft, erreichte sie die Nachricht vom plötzlichen Drogentod ihres Managers Brian Epstein. Schockiert verließen sie Wales.

Sie mussten das Seminar also abbrechen?
Ja, deshalb entschlossen sie sich im Februar 1968, zu Maharishi ins nordindische Rishikesh zu reisen, um vor Ort in seine Lehre einzutauchen. Sie wollten sich damit von der kapitalistischen Gesellschaft entfernen und meditieren. Dort wurde die Band aber ziemlich desillusioniert. Es gab 20 Minuten Meditation am Tag, und jeder bekam eigene persönliche Mantras. Aber letztlich war das Ganze eine hinduistisch beeinflusste Mainstream-Mischung, die die vier nicht zufriedenstellte. Also fuhren sie nacheinander recht schnell wieder weg.

Gab es wenigstens einen musikalischen Ertrag aus der Indien-Reise?
Ja, genau. 20 der 30 Titel des „Weißen Albums“ von 1968 entstanden dort. Da die vier nur akustische Gitarren dabeihatten, kamen sie wieder auf die Wurzeln britischer Popmusik zurück. Ausgerechnet, als die indischen Einflüsse auf die Beatles ihren Höhepunkt erreichten, entstanden Songs aus den Genres Blues und Rock'n'Roll.

Wann hat denn die Beschäftigung der Beatles mit fernöstlichen Traditionen überhaupt angefangen?
Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber bei George Harrison begann es damit, dass ihm ein Musiker der „Doors“ auf der Gitarre indische Tonleitern aus dem Raga-System vorgespielt und von Ravi Shankar, dem großen Sitar-Meister, er-zählt hat. Beim Dreh des Beatles-Films „Help“ 1965 gab es eine Szene, in der indische Musiker auf traditionellen Instrumenten als Gag Beatles-Songs spielten. Das hat Harrison so fasziniert, dass er sich eine Sitar gekauft hat. Später bekam er sogar Unterricht bei Ravi Shankar. So konnte Harrison die Sitar-Passagen im Titel „Norwegian Wood“ selbst einspielen.

Und die anderen Bandmitglieder?
John Lennon hat sich eher mit dem indischen Denken – oder was er dafür hielt – befasst: Er kaufte sich das Buch „The psychedelic experience“, in dem Autor Timothy Leary propagiert, man könne unter Drogen die gleichen bewusstseinserweiternden Erfahrungen machen wie durch Meditation. Unter diesem Einfluss schrieb Lennon 1966 „Tomorrow never knows“, das klingen soll, wie ein LSD-Trip sich anfühlt. Und in „Across the universe“ hat er einen Satz in Sanskrit eingefügt. Dagegen waren Paul McCartney und Ringo Starr weniger an fernöstlichen Einflüssen interessiert, aber zum Wohl der Band haben sie mitgemacht.

Wie äußert sich das?
Ein Paradebeispiel ist „A Day in the life“ von Lennon/McCartney. Der erste Songteil von John Lennon ist orientalisch-psychedelisch angehaucht, dann kommt ein Bruch: Der zweite Teil von McCartney ist eher britischer Pop, was typisch ist für die unterschiedlichen Richtungen, in die beide dann nach dem Ende der Beatles gegangen sind.

George Harrison hat sich dann später Hare Krishna zugewandt.
Ja, und schon im Beatles-Song „Within you, without you“ von 1967 verwendet er nicht nur traditionelle indische Instrumente und Kompositionsweisen; auch inhaltlich greift er buddhistisch-hinduistische Strömungen auf. Da geht es um Liebe, um den Fluss des Lebens und den Seelenfrieden. Es ist als Kritik am Kapitalismus zu verstehen, es wird betont, dass Ruhe und Glück nur von innen kommen.

Wie sieht es generell mit der religiösen Prägung der Beatles aus?
Sie sind größtenteils in einem christlichen Umfeld aufgewachsen, haben das jedoch nicht besonders hervorgekehrt. Paul McCartney zum Beispiel wurde katholisch erzogen, hat sich aber stark wegentwickelt. Nebenbei: Es gab ja einen großen Skandal, als Lennon gesagt hat, die Beatles seien beliebter als Jesus.

In Songs wie „Eleanor Rigby“ kommt ein „Father McKenzie“, also ein Pfarrer, vor, und in „Let it be“ wird „Mother Mary“, die Jungfrau Maria erwähnt…
Das ist aber wohl ein Wortspiel: McCartneys Mutter hieß Mary und soll immer gesagt haben „Let it be“. Sie ist gestorben, als er noch ein Kind war. Er hat sie sehr geliebt. Damit hat er ihr wohl eine Art Denkmal gesetzt.

Noch eine Frage an Sie als Musikwissenschaftlerin: Wie kommt man mit Anfang 20 dazu, sich so stark mit einer Band zu befassen, die es seit fast 50 Jahren nicht mehr gibt?
Wir hatten die Beatles im Musikunterricht in der Oberstufe durchgenommen, was mir viel Spaß gemacht hat. Das hat mich dazu motiviert, Musikwissenschaft zu studieren. Und: Gerade in der Zeit der Globalisierung werden interkulturelle Einflüsse immer wichtiger. Umso spannender ist es zu sehen, dass das schon vor 50 Jahren bei der vielleicht wichtigsten Band der Welt der Fall war.