Am Donnerstag (25. Januar) werden in Hannover die Ergebnisse der ersten übergreifenden Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und anderer Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und der Diakonie vorgestellt. An der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebenen Studie des Forschungsverbunds ForuM sind unter Leitung der Hochschule Hannover fünf weitere Institute und Universitäten beteiligt. Auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) hat Akten geprüft und Fälle gemeldet. Der Evangelische Pressedienst (epd) bündelt die wichtigsten Hintergründe aus bayerischer Sicht.
WIE WURDEN DIE MISSBRAUCHSFÄLLE IN DER LANDESKIRCHE FÜR DIE STUDIE UNTERSUCHT?
Die ELKB hat ein interdisziplinäres Team aus zwölf Personen zusammengestellt, das über Monate Akten aus den Jahren 1917 bis 2020 für die ForuM-Studie ausgewertet und den Forschenden bereitgestellt hat.
Grundsätzlich schaltet die Landeskirche nach eigenen Angaben bei Verdachtsfällen die Staatsanwaltschaft ein. Auch Betroffene selbst sollten – so die Empfehlung der Landeskirche – immer die Behörden einschalten. Eine Strafanzeige seitens der Kirche erfolge in der Regel mit dem Einverständnis der Betroffenen, oder in Einzelfällen, „um weiteren Schaden für andere Menschen abzuwenden und bei schweren Straftaten“.
UM WELCHE FÄLLE GEHT ES BEI DER STUDIE?
Der Begriff der sexualisierten Gewalt wurde beim Auswerten der Disziplinarakten für die ForuM-Studie möglichst weit gefasst, teilte die ELKB vor wenigen Tagen mit. So wurde laut Landeskirche jedes, die sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigende Verhalten mit aufgenommen. Das heißt konkret: Bei den erfassten Fällen sind neben strafrechtlich relevanten Vorfällen auch solche dabei, die „ein nicht strafrechtlich relevantes, grenzverletztendes oder übergriffiges Verhalten betreffen“.
WIE VIELE TATEN WURDEN ERMITTELT?
Das Teilprojekt E der ForuM-Studie, für das die Disziplinarakten durchforstet wurden, erfasst der bayerischen Landeskirche zufolge nur Fälle mit minderjährigen Betroffenen. Insgesamt wurden im Bereich der bayerischen Landeskirche und der Diakonie Bayern 129 beschuldigte Personen und 226 Taten ermittelt. In einigen Akten sind Hinweise zu mutmaßlichen weiteren Taten aufgetaucht, zu denen aber keine weiteren Informationen wie Namen von Betroffenen oder zum tatsächlichen Tathergang gefunden wurden. Rechnet man diese mutmaßlichen Taten hinzu, handelt es sich um 253 Taten. Von den 129 Beschuldigten sind 56 Pfarrpersonen, bei den übrigen handelt es sich um Erzieher, Jugendleiter und Kirchenmusiker.
Für die Jahre nach dem Zeitraum der ForuM-Studie gibt die Kirche folgende Zahlen zu Meldungen sexualisierter Gewalt an: 2021 gab es 24 Meldungen, 2022 gab es 39 Fälle und 2023 weitere 32 Meldungen.
WIE WERDEN BETROFFENE UNTERSTÜTZT?
Die Landeskirche ermutigt Betroffene ausdrücklich, sich zu melden. Personen, die im Raum der bayerischen Landeskirche sexualisierte Gewalt erlitten haben, erhalten Hilfe bei der Ansprechstelle für Betroffene:
https://aktiv-gegen-missbrauch-elkb.de/ansprechstelle-fuer-betroffene/
Für die Betroffenen gibt es den Angaben zufolge geschützte Räume, in den sie sich öffnen können und Hilfe bekommen: So gibt es die kirchliche Ansprechstelle, wo Betroffene beraten werden, wenn sie weitere Schritte einleiten wollen oder wenn sie eine Therapie für eine längerfristige Begleitung brauchen. Die Landeskirche finanziert hier auch externe juristische Erstberatungen. Für Betroffene, die nicht mit Menschen aus der Kirche sprechen wollen, gibt es eine EKD-weite und unabhängige Ansprechstelle mit Namen Anlaufstelle.help. Die Landeskirche unterstützt diese Anlaufstelle.
ERHALTEN ALLE BETROFFENEN EINE ART ENTSCHÄDIGUNG?
Betroffene können Anerkennungsleistungen durch die Anerkennungskommission erhalten, auch wenn die Durchsetzung von Ansprüchen oder Schmerzensgeld gegen die verantwortliche Person nicht mehr möglich ist – etwa, weil der Täter bereits verstorben oder die Tat strafrechtlich verjährt ist. Jeder Antragsteller auf Anerkennungsleistungen erhält das Angebot, mit einem Mitglied der Anerkennungskommission oder der Kirchenleitung ein Einzelgespräch zu führen oder neben einer finanziellen auch eine persönliche Anerkennung zu erhalten.
In den 75 Fällen, die von der Anerkennungskommission bislang behandelt wurden, sind Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen von mehr als 1,5 Millionen Euro zuerkannt worden, teilte die Landeskirche vor wenigen Tagen mit. Seit 1. Mai 2022 liegt der Rahmen gemäß der überarbeiteten Ordnung der Anerkennungskommission zwischen 5.000 und 50.000 Euro.
WIE GEHT ES NACH DER VERÖFFENTLICHUNG DER FORUM-STUDIE IN BAYERN WEITER?
Die Ergebnisse – immerhin rund 1.000 Seiten – sollen laut Landeskirche in einem längeren Prozess ausgewertet werden. Im Beteiligungsforum „Sexualisierte Gewalt der EKD“ sollen Konsequenzen und Empfehlungen erarbeitet werden. (00/0287/25.01.2024)