Misuk mag Ruccola. Ungeniert schlawinert sie von Tisch zu Tisch und stibitzt das köstliche Grün von den Häppchenplatten der anderen. Misuk ist 55 und geistig behindert. Sie ist Teil einer gut 20-köpfigen Gruppe aus Südkorea, die zwei Wochen durch Europa tourt, um sich über die Pflege alter, kranker und behinderter Menschen zu informieren. Neben Deutschland, Österreich und Polen steht auch Rumänien auf dem Programm. Gerade sind sie in Rumäniens zweitgrößter Stadt Cluj, dem früheren Klausenburg, zu Gast.
Warum nimmt eine Gruppe aus Theologen, Sozialpädagogen, Studenten und Behinderten diese 8.000 Kilometer lange Reise auf sich? „Wir wollen lernen“, sagt Young-Kyoung Yoo dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er ist Hochschulpastor und Seelsorger an der Hanil-Universität in Jeonju. In Südkorea sei die Pflege Alter und Behinderter noch nicht so stark im allgemeinen Bewusstsein verankert wie in Europa, sagt er.
Südkorea altert im Eiltempo
Vor allem gebe es längst nicht so viele private oder stiftungsbasierte Initiativen wie in vielen westlichen Ländern. Dabei wird das Thema die südkoreanische Gesellschaft mit Wucht treffen. Denn das Land altert im Eiltempo. 2020 lag die Geburtenrate bei gerade einmal 0,84 Kindern pro Frau. Zum Vergleich: In Deutschland lag sie bei 1,53.
In Cluj sind die Koreaner unter anderem zu Gast im Altenheim der Stiftung Febe, einer Einrichtung der ungarisch-reformierten Kirche. Die Ungarn bilden im rumänischen Siebenbürgen ebenso eine ethnische Minderheit wie die die Region über Jahrhunderte prägenden deutschstämmigen Siebenbürger Sachsen. In dem erst 2019 fertiggestellten Altenheim kümmern sich rund 50 Mitarbeiter um die 68 Bewohner.

Die Plätze sind begehrt, die Wartelisten lang. „2023 hatten wir für 14 freie Plätze über 110 Anträge“, berichtet Anna Kozma. Sie ist Sozialpädagogin – sowohl im Altenheim, als auch im zweiten Haus der Stiftung, einer Behinderteneinrichtung mit 16 Plätzen.
Pflegeplätze in Rumänien für viele unbezahlbar
Dass das Interesse an Pflegeplätzen so groß ist, zeigt für sie, dass es im Land einen Mangel an solchen Einrichtungen gibt. Denn günstig ist die Betreuung nicht: Umgerechnet rund 1.300 Euro kostet ein Platz – abhängig von der Pflegeintensität – im Monat. Der Staat übernimmt davon laut Kozma maximal 200 Euro: „Für den Rest muss die Familie aufkommen.“ Zum Vergleich: Der durchschnittliche Monatslohn beträgt in Rumänien rund 1.000 Euro.
Zwei Sozialplätze für Härtefälle hat die Stiftung. „Mehr geht nicht, da wir unsere Kosten sonst nicht decken könnten“, sagte die 35-Jährige, die unter anderem ein Jahr lang bei der Diakonie in Deutschland gearbeitet hat.
Den Kontakt zwischen der Stiftung Febe im rumänischen Cluj und der Gruppe aus Südkorea hat das Diakonische Werk in Württemberg hergestellt, das seit 30 Jahren eine Partnerschaft zur Universität Hanil in Jeonju pflegt.
„Aber bislang sind meistens nur die Führungskräfte zusammengekommen, um sich auszutauschen“, sagt Pétur Thorsteinsson. Der Diakon ist Geschäftsführer der Landesstelle „Hoffnung für Osteuropa“ und als solcher zuständig für Projekte in Ost- und Südosteuropa. Diesmal sei es der Wunsch der Südkoreaner gewesen, einmal mit „Betroffenen“ nach Europa zu kommen, um nicht immer nur über deren Köpfe hinweg Entscheidungen zu treffen.
Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen
Wie alltagsnah deren Gedanken und Fragen sind, wurde bei einer Begegnung mit Bewohnern und Leitung des schnieken Altenheims der Febe-Stiftung deutlich: Wie oft am Tag gibt es etwas zu essen? Wer kümmert sich um die Pflanzen, die ja offenbar echt sind? Und: Wie häufig kommt der Friseur und was kostet er?
Was wird die Gruppe aus Südkorea mit nach Hause nehmen? „Es geht nicht um Ruhm, Ehre oder Profit bei dieser Arbeit“, sagt Pastor Young-Kyoung Yoo. „Es geht um den Nächsten. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Immer.“