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Auwälder sind Deutschlands Dschungel

Sie halten das Grundwasser sauber, nehmen Hochwasser auf, speichern Treibhausgas und bieten Lebensraum für seltene Arten: Auwälder haben wichtige Funktionen im Ökosystem.

Nicht nur zum Sonnenuntergang lohnt sich ein Spaziergang durch einen Auwald
Nicht nur zum Sonnenuntergang lohnt sich ein Spaziergang durch einen AuwaldImago / Imagebroker

Zwischen den Flußarmen des Altrheins duftet der Bärlauch, der Eisvogel jagt, Hirschkäfer vermehren sich im Totholz der Eichen und der Drosselrohrsänger füttert im Röhricht bald den Kuckuck. Im Sommer quaken Grünfrösche, Libellen und Schmetterlinge fliegen, Orchideen sprießen. Im hessischen Naturschutzgebiet Kühkopf/Knoblochsaue kann sich der Auwald ohne forstlichen Einfluss entwickeln, teils schon seit Jahrzehnten. Am Altrhein südwestlich von Darmstadt kam es in den 1980ern zu einem Dammbruch, der sich als Segen für den angrenzenden Auwald erwiesen hat.

„Aue“, abgeleitet vom lateinischen Wort „Aqua“ (Wasser), meint „Wässriges“. Auwälder sind Überschwemmungswälder und brauchen zu- und abfließendes Flusswasser. Sie filtern das schlammige Wasser und halten Nährstoffe zurück, binden Kohlenstoff, puffern Hochwasser ab, indem sie es aufnehmen. Sie bieten vielfältige ökologische Nischen für Vögel wie Blaukehlchen und Beutelmeise, auch Laichgründe für Amphibien. Auenwälder sind selbst amphibische Landschaften zwischen Land und Wasser, mit Lianen wie Hopfen und Waldrebe.

Klimawandel: Auwälder verändern sich

Doch auch die biodiverse Lebenswelt des Altrhein-Dschungels südlich von Darmstadt verändert sich mit der Klimaerwärmung. „Die Bienenfresser haben sich vermehrt, auch die mediterrane Gottesanbeterin. Dafür gibt es weniger Schwarzmilane, weil mehr Uhus brüten, nämlich acht bis zehn Paare, die es auf junge Greifvögel abgesehen haben“, erklärt am Telefon Ralph Baumgärtel, Leiter des dortigen Umweltbildungszentrums, dessen Logo ausgerechnet der Schwarzmilan ist.

Im Auwald fühlt sich der Kuckuck heimisch
Im Auwald fühlt sich der Kuckuck heimischImago / mm images

„Unser Arten-Inventar ändert sich, aber Tigermücken sind bei uns noch nicht nachgewiesen“, sagt er. Die Esche, der häufigste Baum der höher gelegenen und daher wasserärmeren Hartholz-Auen, fällt zu fast hundert Prozent aus, denn seit Jahren sterben die Eschentriebe an einem asiatischen Pilz. „Es gibt weniger Mittelspechte und Blaukehlchen, die Beutelmeise, auf Weiden spezialisiert, ist ganz aus Hessen verschwunden“, bedauert Baumgärtel.

Auch in der Hartholzaue von Leipzig, einer der größten in Europa, sterben die Eschen. Dafür wachsen junge Ulmen, ältere sind von einem anderen Pilz befallen. Von den standorttypischen Bäumen gehe es aber den Eichen am schlechtesten, erklärt René Sievert vom Regionalverband Leipzig des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu): „Die Dürre der vergangenen Jahre hat ihnen zugesetzt. Auch Borkenkäfer haben sie befallen.“

Auwald im schlechten Zustand

„Der Erhaltungszustand des Auwaldes ist schlecht“, resümiert er. Er trockne immer mehr aus. Deshalb setzt sich der Nabu für eine Revitalisierung des Leipziger Auwaldes ein, der sich vom Süden in den Nordwesten der Stadt zieht und früher regelmäßig von den Flüssen Pleiße, Weiße Elster und Luppe überflutet wurde. „In den 1950er Jahren hat der Bau des Kanals Neue Luppe die alten Fließgewässer trockengelegt“, erklärt Sievert. Der einstigen Weichholzaue aus Weiden und Pappeln wurde so das Wasser entzogen.

Jetzt gefährdet die Klimaveränderung auch die Hartholzaue. Mittlerweile wurde damit begonnen, Deiche zu schlitzen, die südliche Aue wurde auf diese Weise geflutet, wie Sievert erklärt. Aber der südliche Auwald ist mit dem nördlichen nur durch eine schmale Parkzone verbunden. „Für eine Revitalisierung müssen wir die Deiche abtragen“, sagt Sievert.

Deutschlandweit existiert nur noch ein Drittel der ursprünglichen Auwälder. Und nur noch ein Prozent davon ist nach einer Schätzung des Bundesamts für Naturschutz als „natürlich“ zu bezeichnen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden Flüsse im Dienst des Schiffsverkehrs begradigt. Bauingenieur Johann Gottfried Tulla hatte beispielsweise schon 1817 die Regulierung des Oberrheins eingeleitet. Der schneller fließende Fluss vertieft sein Bett und entzieht damit den Auen das lebensnotwendige Wasser.

Hohes Konfliktpotenzial

Barbara Stammel, Vegetationsökologin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Professorin für biologische Vielfalt an der Universität Erfurt, kennt noch intakte Auwälder an der Elbe bei Dessau und an der Donau bei Neuburg, wo sie an einem Flutungsprojekt am Aueninstitut mitwirkt. „Es gibt in Deutschland nur noch 15.000 Hektar natürliche Hartholzaue“, sagt sie.

Will man die Auen renaturieren, um ihre Ökosystemleistung zu erhalten, ist das Konfliktpotenzial hoch. Bauern beispielsweise müssten Grund und Boden abgeben. „Aber warum sollen die Landwirte für die Gesellschaft zahlen?“, fragt Stammel und gibt sogleich die Antwort: „Das ist nur mit finanzieller Entschädigung möglich.“ Viele Interessen müssten zusammen gebracht werden. Deshalb dauere eine Renaturierung so lange.

Der Europäische Green Deal gibt laut Barbara Stammel vor, dass 25.000 Fluss-Kilometer renaturiert werden sollten. Die Bundesregierung habe sich als Ziel gesetzt, die natürlichen Überflutungsflächen um zehn Prozent zu vergrößern. Und die Wasserrahmenrichtlinie sehe einen guten ökologischen Zustand für die deutschen Flüsse bis 2027 vor – „was nicht mehr zu schaffen ist“, sagt Stammel.