Artikel teilen

Der Streit ums Bürgergeld – wo die Koalition nicht einig ist

Mit ihrem Streit um die Höhe von Sozialleistungen stellt die Ampel-Koalition ihre eigene Bürgergeld-Reform infrage. Die FDP will die Regelsätze kürzen – SPD und Grüne halten dagegen. Vor knapp zwei Jahren waren sich die Ampel-Partner hingegen einig: Bei der jährlichen Anpassung der Regelsätze sollte künftig die aktuelle Inflation berücksichtigt werden.

Unter dem Eindruck der sprunghaft gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine passten die Koalitionäre im Herbst 2022 im Rahmen der Bürgergeld-Reform die Berechnungsmethode für die Regelsätze an. Die Folge war eine Anhebung der Leistungen für einen alleinstehenden Erwachsenen um 53 Euro im Monat. Anfang dieses Jahres stieg der Satz erneut um 61 Euro auf 563 Euro.

Solche Steigerungen hatte es zuvor nicht gegeben. Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 lag die stärkste Erhöhung im Jahr 2022 bei 14 Euro. Während Kritik am deutlich höheren Bürgergeld zunächst nur aus der Opposition von Union und AfD kam, kommt sie seit diesem Jahr auch aus der FDP. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Christian Dürr, will das Bürgergeld um 14 bis 20 Euro kürzen. Sein Argument: Die Inflation sei wieder deutlich zurückgegangen, deshalb müssten auch die Regelsätze gesenkt werden.

Rechtlich geht das aber nicht. Wie das SPD-geführte Arbeits- und Sozialministerium erklärt, ist eine Absenkung der Regelsätze der rund 5,6 Millionen Bezieherinnen und Bezieher, darunter 1,6 Millionen Kinder, auch nächstes Jahr nicht möglich – selbst dann nicht, wenn für 2025 ein niedrigerer Satz ausgerechnet wird als der gegenwärtige. Es würde dann eine Nullrunde geben. Diesen Besitzstands-Schutz hat die Ampel-Koalition 2023 im Zuge der Bürgergeld-Reform ins Sozialgesetzbuch XII geschrieben – und die Union hat ihn im Vermittlungsverfahren im November 2022 nicht infrage gestellt.

Für Änderungen müssten also zunächst Gesetze geändert werden. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat erklärt, dies sei möglich, sofern das Existenzminimum gesichert bleibe. Der FDP-Sozialpolitiker Pascal Kober macht sich indes wenig Hoffnungen. Zwar wäre es „eine einfache Gesetzesänderung“, den Besitzstands-Schutz wieder zu streichen oder die Berechnungsmethode zu ändern, erklärt er. Doch könne die FDP dafür nicht mit einer Zustimmung der Koalitionspartner rechnen, sagt er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kobers Fachkollege von der SPD-Fraktion, Jens Peick, bestätigt das: „Mit uns wird es keine Kürzung der Sozialleistungen geben.“ Das hat auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprochen.

SPD, Grüne und FDP haben sich aber schon auf anderweitige Verschärfungen beim Bürgergeld verständigt. Unter anderem wird es künftig für drei Monate um 30 Prozent gekürzt, wenn ein Bezieher oder eine Bezieherin einen zumutbaren Job ohne triftigen Grund ablehnt. Lange Arbeitswege sind kein Grund mehr: Künftig gelten bis zu drei Stunden täglich als zumutbar. Die Änderungen sollen im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 2025 beschlossen werden.

Außerdem reden die Fachpolitikerinnen und -politiker der Regierungs-Fraktionen derzeit über die Zuverdienst-Regeln. Es geht darum, dass Bürgergeld-Bezieher mehr dazuverdienen oder einen Job annehmen können, ohne finanzielle Nachteile etwa durch ihre Wohnkosten zu haben. Denn im Bürgergeld kommt der Staat für Miete und Heizung auf, während Geringverdiener dem Mietmarkt ausgesetzt sind.

Die Bundesregierung hat zuletzt zu den komplizierten Wechselwirkungen zwischen Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag – auch mit Blick auf die geplante Einführung einer Kindergrundsicherung – ein Gutachten beim Münchner Ifo-Institut in Auftrag gegeben, das derzeit in der Koalition ausgewertet wird. Die FDP hat ihre Zustimmung zur Kindergrundsicherung unter anderem an die Bedingung geknüpft, dass mit der Einführung auch die Arbeitsanreize für Eltern im Bürgergeld verbessert werden müssten.