Oberhalb von Oberried bei Freiburg im Schwarzwald endet ein Trampelpfad vor einem Stahltor mit drei mit der Spitze nach unten weisenden, blauweißen Fünfecken. Das Zeichen, mit dem die Unesco schützenswerte Kulturstätten kennzeichnet, kennt man von Kathedralen und Schlössern. Dort aber ist immer nur ein Fünfeck angebracht. „Drei Schutzschilde stehen nur an besonders wichtigen Orten und in Deutschland nur hier“, informiert Lothar Porwich vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).
Ein wichtiger Ort? – In dem nach der Schutzpatronin der Bergleute benannten Barbarastollen, durch den früher Erz und Silber aus den Minen transportiert wurden, lagert heute die deutsche Geschichte. Knapp 400 Meter geht man in den einsturzsicheren Stollen, der mit drei Alarm- und Überwachungssystemen gesichert ist. Zu sehen ist nicht viel, bis auf zwei mächtige Drucktüren. Sie schützen das dahinterliegende „Superarchiv“, wie es das BBK unbescheiden nennt.
Über 30 000 Kilometer Mikrofilmmaterial
In zwei mit Beton ausgebauten Seitenflügeln lagern 1500 rostfreie Edelstahlbehälter. Ihr Inhalt: über 30 000 Kilometer Mikrofilmmaterial. „75 Mitarbeiter in zwei Bundes- und zwölf Landesarchiven sind damit beschäftigt, wichtige Dokumente zur Geschichte und Kultur unseres Landes zu verfilmen“, erklärt Porwich. „Voraussetzung ist, dass es sich bei allen Dokumenten um Unikate handelt.“ Die 50 000 Euro teuren Spezialkameras ermöglichen sogenannte Sicherungsverfilmungen. Der Inhalt der Originale werde dabei nicht codiert, sondern um den Faktor 14 verkleinert. Drei Millionen Euro jährlich stellt der Bund für Verfilmungen von Archivgut zur Verfügung.
„Mindestens 500 Jahre sind die Aufnahmen haltbar, sprich lesbar“, so der BBK-Mitarbeiter. Zu diesem Zweck werden die Stahlbehälter mit den zu etwa 1,3 Kilometer langen Rollen zusammengeschweißten Filmen vier Wochen in einer Klimakammer bei konstant zehn Grad Celsius und 35 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit klimatisiert. Dann werden die Behälter luftdicht verschlossen und in den Stollen im Schwarzwald transportiert, wo vergleichbare Klimabedingungen herrschen, ohne dass technische Hilfe nötig wäre. Das erklärt, warum gerade hier eingelagert wird. Neben den geologischen Aspekten war auch die Lage ausschlaggebend. „Der Ort ist ideal, weil er abseits der Ballungs- und Industrieregionen liegt“, weiß Lothar Porwich. „Hier können die Filme Kriege und Naturkatastrophen unbeschadet überstehen.“
Mehrmals im Jahr muss das BBK nach dem Rechten sehen. „Wir führen Kontrollöffnungen der Behälter durch, um den Zustand der Filme zu prüfen.“ Einlagerungen finden ein- bis zweimal pro Jahr statt. „Im Oktober haben wir das einmilliardste Dokument hier gesichert, das Grundgesetz von 1949“, freut sich Porwich, der es als „irre Idee“ ansieht, Sachen für die Zukunft wegzupacken. „Meist läuft es ja anders: Man schmeißt weg.“
Da stellt sich die Frage nach den digitalen Speichermöglichkeiten als doch sicher kostengünstigere Alternative. „Sehen Sie“, wendet Martin Luchterhandt ein, einer der für die Verfilmung zuständigen Referenten, „zum Lesen von digitalen Informationen brauchen Sie ein Medium, für unsere Filme nicht.“ Mit Lupe und Lichtquelle könne man leicht alles entziffern.
Der Stollen ist so bedeutend wie der Vatikan
Warum macht man sich eigentlich die ganze Arbeit? – „Die Bundesrepublik hat 1954 die Haager Konvention unterzeichnet“, erklärt der promovierte Berliner Oberarchivrat. Vorrangiges Ziel der von der Unesco anberaumten Konferenz war die Sicherung von Kulturgut vor bewaffneten Konflikten. Mittlerweile ist auch der Schutz vor Katastrophen in Friedenszeiten wie in Köln oder Weimar (gelber Kasten) ein zentrales Thema. „Mit 6396 hier im Stollen gelagerten Filmen, auf denen Material aus dem verschütteten Kölner Archiv gesichert wurde, können wir helfen, den dortigen Bestand wieder aufzubauen“, freut sich Luchterhandt. Dabei seien auch die Baupläne des Kölner Doms.
Die Filmbestände der DDR, über 8000 Kilometer, die sich aufgrund des mangelhaften Materials zu zersetzen drohten, wurden nach der Wiedervereinigung umkopiert und lagern nun im Barbarastollen. Beide deutschen Staaten hatten 1961 mit der Verfilmung von Archivgut begonnen. Die erste Einlagerung im Schwarzwald fand 1974 statt. Vorher verwahrten die einzelnen Verfilmungsstellen das Material. 1978 wurde der Zentrale Bergungsort der Bundesrepublik von der Unesco in das Register der Objekte mit Sonderschutz aufgenommen, damit rangiert der Stollen auf einer Bedeutungsebene mit dem Vatikan.
Kontakt: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, Telefon (02 28) 99 55 00, Internet: www.bbk.bund.de.