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«Der perfekte Held für die DDR»

Ernst-Thälmann-Denkmal: Um das Gedenken wird gerungen

Berlin (epd). Für Thälmann musste es schon eine Kolossalstatue sein: 14 Meter hoch und 15 Meter breit ist das Denkmal des sowjetischen Künstlers Lew Kerbel im Berliner Viertel Prenzlauer Berg. Enthüllt wurde die Büste 1986 zum 100. Geburtstag des Kommunistenführers. Ernst Thälmann (1886-1944), Stalin-treuer KPD-Vorsitzender in der Weimarer Republik, von den Nazis in Buchenwald ermordet, war ein Held in der DDR. Heute, mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall, wird um das
Gedenken an ihn gerungen – nicht nur in Berlin.

   Das zeigte sich zuletzt rund um die künstlerische Kommentierung, die die Berliner Künstlerin und Filmemacherin Betina Kuntzsch im Auftrag des Bezirksamts Pankow für die Büste entworfen hat. Das Denkmal war dafür eigens von Graffiti-Spuren gereinigt worden, doch Unbekannte sprayten im November erneut knallige Farben auf den Sockel. Unmittelbar vor der Übergabezeremonie hätten «ältere Genossen» gegen das Projekt protestiert, erinnert sich Kuntzsch.

   Die 58-Jährige, die im heutigen Szene-Viertel Prenzlauer Berg aufgewachsen ist, hat maßstabgetreu verkleinerte Sockel des Denkmals entworfen, an denen mit QR-Codes zehn essayistische Kurzfilme aufgerufen werden können. Darin gibt sie Einblicke in ihre eigene Kindheit mit dem als Propaganda-Helden stilisierten Thälmann und zeigt Bilder der Industrie-Anlage, die dafür abgerissen wurde.

   Nach der Wiedervereinigung sollte das Denkmal ebenso wie viele Lenin-Statuen in Ostdeutschland abgerissen werden. Zuletzt entschied die Bezirksverwaltung sich jedoch für eine künstlerische und historische Einordnung ohne Abriss. Aber die eigens eingesetzte Denkmalkommission entzweite sich im Streit um einen Entwurf für die geplanten Informationstafeln.

   Streitpunkt war ein Passus über eine angebliche volkstümliche Thälmann-Verehrung, die eine gewisse Widerständigkeit gegen die erstarrte DDR-Wirklichkeit auszudrücken versucht habe. Betina Kuntzsch kennt Erzählungen von älteren Genossen, die nicht mit der Umsetzung des Sozialismus durch die DDR einverstanden waren. Diese hätten mutmaßlich gesagt, «wenn Thälmann an der Regierung wäre, wäre alles ganz anders».

   Weil sie das Thälmann-Denkmal so hässlich fand, wollte sie ursprünglich gar nicht an dem Wettbewerb für die künstlerische Einordnung teilnehmen. Ihr Beitrag aus Sockeln und Video-Arbeiten soll nun zum Nachdenken über den Mann einladen, der für Ostdeutsche ihrer Generation allgegenwärtig war – der SED-Staat hatte die Verehrung des einstigen KPD-Chefs quasi angeordnet.

   Durch seine Ermordung im KZ Buchenwald sei er als «der perfekte Held für die DDR» mit dem Mythos des Antifaschismus verknüpft worden, sagt die Künstlerin. Sein Lebenslauf sei zu DDR-Zeiten «geputzt» worden: «Alles was einen Anklang hatte, nicht zu einem reinen strahlenden Bild zu passen, wurde weggelassen.»

   Der Leiter der Denkmalkommission des zuständigen Bezirks, Bernt Roder, fordert vor diesem Hintergrund auf, zwischen der realen Biographie und einer «mythisch aufgeladenen Person» zu unterscheiden. Thälmann sei kein Beispiel des antifaschistischen Widerstandskampfes gewesen, sagt er unter Hinweis auf dessen Verhaftung im Jahr 1933. Bis dahin sei er ein «willfähriger Handlanger der Stalin'schen Politik» gewesen.

   In zahlreichen Dörfern in Ostdeutschland gebe es weiterhin Thälmannstraßen, sagt Roder. Dort werde der einstige KPD-Chef noch heute vielfach als Opfer des Nationalsozialismus verehrt. Das Thälmann-Denkmal in Weimar wurde im Herbst für einige Tage verhüllt, um zu Diskussionen über den Umgang mit Thälmann anzuregen. Die Gedenkstätte in Thälmanns Geburtsstadt Hamburg werde mittlerweile – anders als früher – von der Stadtverwaltung unterstützt, sagt Roder.

   Da der KPD-Chef ein «krasser Feind der parlamentarischen Demokratie» gewesen sei, gebührten ihm heute keine Ehrungen, urteilt der Thälmann-Biograph Armin Fuhrer. So könne man die zahlreichen Thälmannstraßen umbenennen, schlägt er vor.

   «Mehr als 30 Jahre nach Ende der DDR haben wir offensichtlich noch keinen Konsens gefunden, wie mit deren Denkmälern umgegangen werden sollte», kommentiert Jens Schöne, stellvertretender Beauftragter des Landes Berlin zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, den Berliner Denkmalstreit.

   Thälmann wurde nach der Machtübernahme der Nazis 1933 verhaftet und elf Jahre später, am 18. August 1944, im Konzentrationslager Buchenwald erschossen. Die Hoffnung, dass sein Gönner Josef Stalin seine Freilassung erwirken würde, hatte sich nicht erfüllt. Stalin hatte 1928 noch dafür gesorgt, dass Thälmann trotz einer Affäre um Unterschlagung von Parteigeldern sein Amt als KPD-Chef zurückerhielt. Die meisten jungen Leute, die nachts auf dem Platz vor dem monumentalen Denkmal in Berlin Partys feiern, wissen davon mutmaßlich nichts.