Nach langen Jahren eröffnete die Berlinale in diesem Jahr einmal wieder mit einem deutschen Beitrag: „Das Licht“ von Tom Tykwer. Ein Film, der von einer dysfunktionalen Familie erzählt, in einem Berlin, in dem es beständig regnet. Tim (Lars Eidinger) arbeitet in einer hippen Agentur, die für Nachhaltigkeit wirbt, seine Frau Milena (Nicolette Krebitz) beschäftigt sich mit kulturellen Projekten in Kenia – zwei Weltverbesserer, die nicht merken, wie ihre Zwillinge in so etwas wie Wohlstandsverwahrlosung abgleiten. Und dass ihre Haushaltshilfe schon seit längerem tot in der Küche liegt.
Viele Themen hat Tykwer, der am 23. Mai 60 Jahre alt wird, in seinen neuen Film hineingepackt: Migrationsgeschichten, Klimakrise, Vereinsamung, Abstecher in die VR-Welt, aber auch einen Schuss Esoterik. Herausgekommen ist ein Film, der die meisten Probleme unserer modernen Welt, zumindest der Berliner Mittelschicht, verhandeln will. Aber er beeindruckt immer wieder durch seine visuellen Ideen und ästhetische Diversität, mit Tanzeinlagen und Animationen. Das Vermögen, in Bildern zu denken, und der Mut, mit Stilen zu experimentieren, gehörten immer schon zu den Stärken von Tom Tykwer.
Das führte der gebürtige Wuppertaler auch schon in dem Film vor, der ihn bekannt machte und mittlerweile Kultcharakter besitzt: „Lola rennt“ aus dem Jahr 1998. Da erzählt Tykwer eine Ganovengeschichte (Wie komme ich in 20 Minuten an 100.000 Mark?) in drei verschiedenen Varianten. Er arbeitet mit Animationspassagen, Splitscreen-Technik, Fotos und einer atemberaubenden Kamera, deren Rasanz sich förmlich auf den Zuschauer überträgt. Die Hauptdarstellerin, Lola mit den grellroten Haaren, war Franka Potente, damals Tykwers Lebensgefährtin. Für sie war die Rolle das Sprungbrett für eine internationale Karriere.
„Lola rennt“ war nicht Tykwers erster Film. Schon als Kind hat er Super-8-Filme gedreht, mit 14 Jahren arbeitete als Filmvorführer in seiner Geburtsstadt Wuppertal, später dann in Berlin, wo er 1988 die Programmgestaltung des Moviemento-Kinos in Kreuzberg übernahm. Mit seiner Frau Marie Steinmann und zwei Kindern lebt er noch immer in Berlin. Steinmann und er fördern mit ihrem 2008 gegründeten Verein „One Fine Day“ auch den unabhängigen kenianischen Film und künstlerische Arbeit in Kibera, dem größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi.
Tykwer ist ein Autodidakt, wurde von Filmhochschulen abgelehnt. Aber er hat immer den Einfluss des Filmemachers Rosa von Praunheim auf seine Karriere betont: „Rosa hat mir beigebracht, dass ein Film durch das Herz des Filmemachers ins Hirn und wieder zurückgejagt werden muss, bevor er es verdient hat, gedreht, geschweige denn irgendjemand anders gezeigt zu werden“, sagt er in dem Film „Rosakinder“, einer Hommage an Praunheim.
1994 kam Tykwers erster Spielfilm ins Kino, „Die tödliche Maria“, die Innenansicht eines Ehemartyriums. Filme wie der sensible „Winterschläfer“ und „Der Krieger und die Kaiserin“ folgten. 1994 gründete er, zusammen mit Stefan Arndt, Wolfgang Becker und Dani Levy, die Firma X Filme Creative Pool, die zu einem der profiliertesten Produktions- und Verleihunternehmen Deutschlands werden sollte.
Mit „Heaven“, der 2002 die Berlinale eröffnete, realisierte Tykwer dann eine internationale Co-Produktion, einen psychologischen Thriller nach einem Drehbuch des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski. Cate Blanchett ist darin eine Attentäterin, die vier unschuldige Menschen tötet.
Mit „Heaven“ begann für Tykwer, der auch die Musik zu seinen Filmen meist selbst schreibt, eine Ära der Großprojekte mit hohem Budget, wie sie wohl kein anderer deutscher Regisseur realisieren konnte. „Das Parfüm – Die Geschichte eines Mörders“ (2006), seine Verfilmung des Bestsellerromans von Patrick Süskind mit Dustin Hoffman und Alan Rickman, soll 60 Millionen Euro gekostet haben. Die Kritik ging mit dem Werk eher mäkelig um, es gehörte aber zu den besucherstärksten Filmen des Jahres.
Sein mit geschätzten 100 Millionen Euro teuerstes Projekt war 2012 „Der Wolkenatlas“, den er zusammen mit den Wachowski-Geschwistern („Matrix“) inszenierte. Die Hauptrolle spielte Tom Hanks, mit dem er in „Ein Hologramm für den König“ ein zweites Mal zusammenarbeitete.