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Der Erfinder des „Hallelujah“

Er gilt als einer der meist nachgespielten Songs der Popkultur: das rätselhafte „Hallelujah“ von Leonard Cohen. Im Werk des Dichters, Sängers und Liederschreibers vermischen sich Einflüsse seiner jüdischen Herkunft und der Hang zur Melancholie

ROLAND GODEFROY

Brillante Musik voll Schwermut und Tiefgang: Die Weichen für den Ausnahmekünstler Leonard Cohen wurden früh gestellt. Geboren wurde Cohen am 21. September 1934 in Westmount, Montreal in Kanada. Leonards Vater Nathan besaß in dem wohlhabenden Viertel ein Textilkaufhaus und den Familiensitz in der Belmont Avenue 599. Von ihm erbte Leonard Zurückhaltung und Korrektheit, seine musische Gabe und den Hang zur Melancholie aber von der Mutter Masha, Tochter eines russischen Talmud-Gelehrten und Rabbiners.

Leonards Vorfahren bauten Judentum in Kanada auf

Im Kaufmannshaus von Nathan Cohen wurde nicht über Religion gesprochen; sie wurde praktiziert. Leonards Vorfahren hatten das Judentum in Kanada mitaufgebaut. Urgroßvater Lazarus wanderte in den 1860ern aus Litauen ein. Der angesehene Kaufmann wurde Vorsteher einer Synagogengemeinde, sein jüngerer Bruder Tzvi Hirsch Cohen Oberrabbiner von Montreal. Leonards Großvater Lyon setzte die Kohanim-Tradition fort, bekleidete internationale zionistische Ämter.
Zeit seines Lebens hat Leonard Cohen den Sabbat beachtet – aber er behielt auch immer einen Hang zum Geheimnisvollen, Pathetischen, Mystischen. So brachte er sich etwa Grundtechniken der Hypnose bei, mit einer dunklen, ruhigen, sanften Stimme, seinem Markenzeichen.
Sein eigentlicher Zugang zur Kunst war immer die Poesie. „Let Us Compare Mythologies“, hieß 1956 sein erster Gedichtband. Erste Erfolge erlaubten ihm Reisen in Europa und einen mehrjährigen Aufenthalt auf der griechischen Insel Hydra. Dort schrieb er zwei Romane und den Gedichtband „Blumen für Hitler“. Und lernte die Liebe seines Lebens kennen. Als er Hydra 1967 verließ, schrieb er ihr den Song „So long, Marianne“. Im bewegten „Summer of Love“ startete Cohen eine zweite Karriere als Singer-Songwriter – mit der Absicht, mit dem schnellen Geld wieder Muße zum Gedichteschreiben zu haben.
Doch die Musik blieb, auch über seine düsterste depressive Phase Anfang der 70er Jahre hinaus. Mit der Kalifornierin Suzanne Elrod zeugte er Sohn Adam und Tochter Lorca. Und auch wenn sich Leonard 1979 von ihr trennte, sagte Suzanne später: „Ich habe mich immer verheiratet gefühlt. Leonard ist der verantwortlichste Mensch, den man sich vorstellen kann.“ 1990 etwa harrte er nach einem Verkehrsunfall über Wochen am Krankenbett Adams aus.
Cohens Gedichte und Lieder sind voll von religiösen Anleihen, Zitaten, Brechungen und Variationen. Der Song „Who by Fire“ etwa greift auf die Liturgie zum Jom Kippur und zum jüdischen Neujahr zurück. Das Album „Various Positions“ (1984) enthält unter anderem sein rätselhaftes „Hallelujah“ und auch den Song – oder ist es ein Gebet? – „If it be Your Will“.

Trotz Zen-Meditation: „Ich bin ein Jude.“

Ein ausgelaugter Leonard Cohen sucht Anfang der 90er die Stille in einem buddhistischen Kloster in den Bergen nahe Los Angeles. Er übt sich in Selbstdisziplin und japanischer Zen-Meditation und wird 1996 unter dem Namen „Jikan“ (deutsch: „der Raum zwischen zwei Stillen“) zum Mönch ordiniert – der berühmteste Schüler von Zen-Meister Kyozan Joshu Sasaki (1907-2014).
Cohens jüdischem Glauben tat das keinen Abbruch, wie er erläutert: Es gehe beim Zen nicht um Anbetung oder ein Gottesbild, sondern um Meditation. „Ich habe eine Religion, und ich suche keine andere. Ich bin ein Jude.“
Das hätte es also sein können mit dem Sänger Leonard Cohen – hätte nicht seine Managerin in den fünf Jahren, die er im Kloster verbrachte, fast sein ganzes Vermögen veruntreut. So musste es weitere Alben und Tourneen geben. Je mehr sich der Lebenskreis des leidenden Mystikers schließt, desto mehr Anspielungen auf einen baldigen Tod enthalten Cohens Texte.

Brief an die sterbende Freundin: Ich folge dir

Diese Tendenz dürfte sich mit der neuen Platte „You want it darker“ noch einmal verstärken. Im August starb die Norwegerin Marianne Ihlen, Leonards Muse und einstige Geliebte auf Hydra. In einem Brief an die Sterbende schrieb er: „Ich glaube, ich werde dir sehr bald folgen. Ich bin nah bei dir, dicht genug, dich zu berühren.“
Ein Freund berichtet, Marianne habe beim Hören der Worte ihre Hand ausgestreckt. „Du willst es dunkler haben“, so lautet der Refrain des neuen Titelsongs; „dann löschen wir doch die Flamme aus. Hineni, hineni – ich bin bereit, o Herr.“