Artikel teilen

Der Engelkonfirmand

Goldene, Diamantene, Eiserne oder sogar Gnaden-Konfirmation mögen manchem ja noch bekannt sein. Aber eine Engelkonfirmation? Dazu gibt es selbst im Internet kaum Fundstellen. Hugo Eberhardt feiert nach fast 85 Jahren das seltene Jubiläum

Dieter Sell

Martin Luthers Kleinen Katechismus kennt Hugo Eberhardt noch immer auswendig, die Klassiker aus dem Gesangbuch auch – und das Vaterunser sowieso. „Das haben wir im Konfirmandenunterricht gelernt – und das sitzt bis heute“, sagt der 98-jährige tiefgläubige Lutheraner aus Wettmar bei Hannover, der in diesen Tagen ein ganz besonderes Jubiläum feiert: Der Bessarabiendeutsche – in Katzbach geboren, dem heutigen Luzhanka in der Ukrai­ne – gehört zu den wenigen „Engelkonfirmanden“ in Deutschland. Vor fast 85 Jahren wurde er „nach Unterweisung im Worte Gottes“ eingesegnet.

Engelkonfirmation wird nach 85 Jahren gefeiert

Mit dem Bibelwort „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark“ wurde Eberhardt damals zusammen mit 39 Mädchen und Jungen konfirmiert. An den Satz hat er sich sein Leben lang gehalten. „Ich habe noch nie einen Menschen in seinem Alter erlebt, der so aktiv in der Kirchengemeinde ist“, sagt Gemeindepastorin Reni Kruckemeyer-Zettel. „Er ist ein treuer Gottesdienstbesucher, ein bescheidener und frommer Mann, der in seinem Leben viel und hart gearbeitet hat.“
Und dabei Weltgeschichte teils schmerzlich am eigenen Leib erleben musste. Dazu gehörten der Zweite Weltkrieg und der Hitler-Stalin-Pakt, der ihn aus seiner Heimat vertrieben hat. Eberhardt musste oft neu anfangen. Dabei habe ihm sein Glaube geholfen, meint der Mann, der eine zentrale Erkenntnis aus seinem Leben so zusammenfasst: „Ich habe gelernt, dass jeder Mensch gleich ist.“
Zwei Jahrzehnte gehörte der Engelkonfirmand dem Kirchenvorstand in Wettmar an. Noch länger hat er den Bibelkreis der Gemeinde geleitet, an dem er nach wie vor regelmäßig teilnimmt. Und auch in der Landeskirchlichen Gemeinschaft im Ort hat er sich engagiert. „Wir wurden oft gerufen, um Menschen in Not zu helfen – und wir haben uns rufen lassen“, blickt seine Ehefrau Lydia (88) zurück.
An erlebnispädagogische Aktionen wie teamorientierte Fahrten auf Segelschiffen oder Sozialpraktika, wie sie heute im Rahmen des Konfirmandenunterrichtes vielerorts organisiert werden, war zu Zeiten von Hugo Eberhardt noch nicht zu denken. „Der Pastor war der Chef, Luther kam gleich nach Jesus, und wir haben auswendig gelernt, aber feste“, erinnert sich der Jubilar.
Immer wieder mussten das Gelernte und die Predigten schriftlich zusammengefasst und dem Pastor vorgelegt werden. Wer nicht richtig auswendig lernte und durchfiel, wurde für ein Jahr vom Unterricht suspendiert. „Das war natürlich peinlich“, sagt Eberhardt.
Zur Konfirmation selbst traten die Mädchen im weißen Kleid und meist mit einem Schleier an, die Jungen mit ihrem ersten schwarzen Anzug, weißem Hemd und Schlips – eine Investition, die nicht für jede Familie einfach zu stemmen war. „Wenn man in die Kirche geht, zieht man das Beste an“, ist Eberhardt bis heute überzeugt und fügt hinzu: „Das Beste für Gott ist gerade gut genug.“
Nach Kriegsende kam der gelernte Stellmacher 1946 als Flüchtling nach Wettmar, wo er später als Tischler arbeitete. Wie bei den meisten Flüchtlingen wurde aufgrund fehlender Papiere auch bei ihm das Jahr der Konfirmation geschätzt und mit 1933 in das Kirchbuch seiner neuen Heimat eingetragen.
Auf dieser Grundlage bekam er nun von der örtlichen St.-Marcus-Gemeinde und vom hannoverschen Landesbischof Ralf Meister Urkunden zur Engelkonfirmation, die 85 Jahre nach der Einsegnung ausgestellt werden. Dass auf der jetzt aufgetauchten kunstvoll geschmückten Original-Urkunde aus Katzbach der 1. Mai 1934 als Konfirmationsdatum vermerkt ist – Gemeindepastorin Kruckemeyer-Zettel nimmt es leicht und meint, Herr Eberhardt sei seiner Zeit eben „ein klein bisschen voraus“.
So oder so: Das Jubiläum sei extrem selten, sagte die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr bei der Übergabe der Erinnerungsurkunde an Hugo Eberhardt: „Sie hat wahrlich ein Engel auf ihren Lebenswegen behütet.“
Und der Jubilar selbst? Den überrascht der Rummel um seine Person, doch er bewahrt seinen trockenen Humor. Auf die Frage, was er tue, um in seinem Alter fit zu bleiben, antwortet er: „Eigentlich gar nichts.“ Und mit einem schmalen aber feinen Lächeln fügt er hinzu: „Früher war ich einfach noch etwas jünger.“