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Der Christ Helmut Schmidt

Helmut Schmidt hat drei Bücher zum Thema Christentum und Religion publiziert. Woran hat der frühere Bundeskanzler und weit über Deutschland hinaus hoch respektierte Staatsmann und Politiker geglaubt? Wer danach fragt, braucht die Bereitschaft, hinter dem von ihm Gesagten sich auf das Gemeinte einzulassen. Bei seinen Aussagen zu Kirche, Glaube und Theologie wird nahezu jede Position hinterfragt. Seiner evangelischen Kirche  rief er über Jahrzehnte hinweg zu: „Ich meine, dass Politik nicht zu den Aufgaben der Kirche gehört.“ Und: „Es gibt Handreichungen und Stellungnahmen (der Kirche), wo ich nach sorgfältiger Abwägung sehr zögern würde, sie als christlich legitimiert anzusehen.“ Trotzdem war er von der Gestaltungskraft des christlichen Glaubens im politischen Entscheidungsbereich überzeugt: „Für mich ist die Todesstrafe aus christlicher Grundüberzeugung nie in Betracht gekommen.“
In Glaubensfragen rüttelte Schmidt an Denkgrenzen, und er besaß die Ehrlichkeit, das zu sagen, etwa in einem Interview im Jahr 2011: „Wie die Jungfrau zum Kind gekommen ist, kann kein Christ wirklich glauben“ oder: „Ich kann nicht an die Wunder in der Bibel glauben“. Für mich sind das eher Glaubenszweifel, wie sie jeder von uns kennt, denn Lehrsätze eines Ungläubigen. Zweifel kannte er auch an der Kirche: „Ich bezweifle, ob unsere Kirche uns heutigen Menschen das geben kann, wonach so viele sich sehnen: die Geborgenheit im Glauben an Gott und an Gottes Allmacht.“ Von überraschender Klarheit sind dann folgende Sätze: „Das Vater Unser und Choräle sind meine Eckpfeiler geblieben.“ 1988 schloss er in Rostock auf dem dortigen Kirchentag seine Rede mit den Worten: „Liebe Rostocker, setzt euer Vertrauen auf Gott, den Herrn!“ Ein Jahr später fiel die Mauer!
Gewiss, Helmut Schmidt hat mit bestimmten Glaubenspositionen gehadert, aber er hat weder die Kirche verlassen noch an Gott selber gezweifelt: „Nichts kann geschehen gegen Gottes Willen, das glaube ich noch heute.“ Eine solche Durchdringung ist auch in der Politik selten geworden. Matthias Schreiber

• Dr. Matthias Schreiber ist evangelischer Theologe. Er leitet das Referat  „Kontakte zu Kirchen, jüdischen Kultusgemeinden und sonstigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen.