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“Der Charme des Senegal”: Ostern kommen Christen und Muslime zusammen

Die Kirche in der senegalesischen Kleinstadt Neguekokh an der Küste südlich der Hauptstadt Dakar ist brechend voll. Auf dem Vorplatz stehen zusätzliche Plastikstühle unter einer Schatten spendenden Plane. Seit Beginn der Passionszeit wird hier jeden Freitag der Kreuzweg begangen: Messdiener und -dienerinnen in weißen Gewändern tragen das Kreuz und halten vor jedem der 14 Gemälde in der Kirche an, die den Leidensweg Jesu zeigen. Der Priester in lilafarbenem Gewand predigt und singt; stimmt der Chor ein, singt die Gemeinde aus vollem Halse mit. Manche Gläubige werfen sich mit Inbrunst auf den Boden, bitten um Vergebung ihrer Sünden. „Ostern ist die Feier der Hoffnung“, sagt Priester André Latyr Ndiaye.

Passionszeit und Ostern im westafrikanischen Senegal, das ist etwas Besonderes: Denn das Land ist zu 95 Prozent muslimisch, nur rund fünf Prozent der Einwohner sind Christen, überwiegend katholische. Zudem werden traditionelle Religionen, die in Zusammenhang mit der Natur stehen, praktiziert.

Eugénie „Mimi“ Fonseca aus der Nähe von Neguekokh ist praktizierende Katholikin. Sie fastet seit Aschermittwoch und geht jeden Freitag zum Kreuzweg, wie sie erzählt. „Ich esse einmal am Tag“, erklärt die 60-jährige Mutter von drei erwachsenen Kindern. Gebet, Almosen und das Teilen seien aber wichtiger als das Fasten: „Es muss Verzicht geübt werden bis zur Wiederauferstehung an Ostern.“ Am Gründonnerstag geht sie zur Messe, am Karfreitag zum Kreuzweg und am Ostersamstag zur Mitternachtsmesse, bei der auch Taufen und Hochzeiten gefeiert werden. Eine weitere Messe folgt am Ostersonntag. Am Ostermontag wird dann in der Familie weitergefeiert – gemeinsam mit den muslimischen Verwandten.

Eine wichtige senegalesische Ostertradition ist, dass am Karfreitag die Fastenspeise „Ngalakh“ mit den muslimischen Nachbarn geteilt wird: eine Süßspeise auf der Basis von Hirse, Erdnusspaste und Affenbrotsaft. Dazu kommen Vanille und Orangenblüte, erzählt Fonseca. Die Muslime teilen ihrerseits am Opferfest ihr Lamm mit den Christen. „Das ist der Charme des Senegal“, sagt die verheiratete Geschäftsfrau im Ruhestand: „Wir beten zu Gott, dass nichts dieses Zusammenleben stören kann.“

In diesem Jahr liegt das Osterfest am 31. März mitten im muslimischen Fastenmonat Ramadan, der noch bis zum 9. April dauert. Deshalb essen die Muslime die beliebte christliche Karfreitags-Speise erst zum Sonnenuntergang.

Badara Faye ist Muslim, zu seiner Familie in der Hafenstadt Mbour gehören auch christliche Cousins und Cousinen. Zum Osterfest geht der 37-Jährige zur christlichen Verwandtschaft. „Wir feiern gemeinsam mit den Katholiken“, sagt Faye und erklärt: „An katholischen Feiertagen werden in den Familien zwei Gerichte zubereitet, eines mit Schweinefleisch und eines mit Rindfleisch.“ Auf dem Tisch stünden Alkohol und alkoholfreie Limonaden, sodass jeder nach seiner Religion leben könne.

In vielen senegalesischen Familien gibt es sowohl Muslime als auch Christen. So auch in der Familie des katholischen Priesters André Latyr Ndiaye. „Meine kleine Schwester ist mit einem Muslim verheiratet, manche Nichten sind getauft, andere sind muslimisch geblieben“, erzählt er: „Wir machen keinen Unterschied.“ Der „echte Dialog“ der Religionen sei typisch für Senegal, sagt der 62-Jährige, der zehn Jahre lang in Deutschland in Diözesen in Bayern tätig war und erst vor zwei Jahren in den Senegal zurückgekehrt ist.

Auch Mimi Fonsecas Tochter ist mit einem Muslim verheiratet. „Wenn du den anderen akzeptierst, schaust du nicht auf seine Religion, sondern auf den Menschen, den Gott heilig geschaffen hat wie dich auch.“ Keiner versuche, den anderen zu bekehren. Auch nach der Hochzeit sei ihre Tochter Christin geblieben: „Er hat sie als Katholikin kennen- und liebengelernt“, sagt die Großmutter von zwei Enkeln: „Sie haben in der Moschee und in der Kirche geheiratet.“

Die christliche Minderheit im Senegal lebt vor allem in den Großstädten, in Dakar und Saint-Louis, wo beeindruckende Kathedralen unter Denkmalschutz stehen. Klöster und christliche Pilgerorte aber gibt es im ganzen Land. Die ersten Missionare kamen 1648 aus Portugal. Erst in letzter Zeit machen auch evangelikale Kirchen der katholischen Kirche Konkurrenz.

Die Vermischung der Religionen findet auch in den Schulen statt: Katholische Privatschulen sind unter Muslimen gefragt. Spannungen gebe es nicht, behaupten die religiösen Verantwortlichen. Doch es kommt immer wieder zu „Polemik“, wie Abbé André Latyr Ndiaye es nennt: Gelegentlich würden derzeit katholische Dogmen in den sozialen Netzwerken angegriffen: „Warum behaupten die Christen, dass Jesus Gottes Sohn ist und solche Sachen.“ Das könne das gute Zusammenleben bedrohen.

Während der christlichen Fastenzeit und dem muslimischen Fastenmonat Ramadan wird in diesem Jahr voraussichtlich am 24. März 2024 im Senegal ein neuer Präsident gewählt. Präsident Macky Sall, dessen zweite Amtszeit Anfang April zu Ende ist und der verfassungskonform nicht zur Wahl antritt, hatte die geplante Wahl im Februar kurzfristig verschoben. Nach Protesten findet sie nun doch noch vor dem Ende seiner Amtszeit statt. „Wir werden auch in der Politik wieder zum Normalen zurückkehren“, hofft Priester André. Er glaubt: „Die beiden Religionen umarmen sich und diese spirituelle Überschneidung wird dem Land helfen.“