„Bevor wir uns ein wenig mit der Stadt und ihrer Geschichte vertraut machen, grüße ich Sie alle ganz herzlich in ,Kattfilleria‘, wie wir Attendorner unsere Stadt in der Karnevalszeit nennen.“ Was es damit auf sich hat, verrät Stadtführer Peter Höffer Besuchern der kleinen Hansestadt im Südsauerland erst später.
Unsere 13-teilige Serie mit Reformationsgeschichten aus Westfalen und Lippe beginnt mit einem Ereignis aus dem Jahr 1583 in und um Attendorn.
Der Hausmeister im örtlichen Südsauerlandmuseum mit dem Nebenberuf „Attendorner Nachtwächter“, den hier alle liebevoll nur „Pittjes“ nennen, ist der geborene Stadtführer. Entstammt er doch einer nachweislich seit 1457 in Attendorn beheimateten Familie.
Gerade macht er Halt vor dem alten katholischen Pastorat, um seinen Gästen die Geschichte dieses Hauses und der großen Kirche, die Einheimische „Sauerländer Dom“ nennen, nahezubringen, als eine junge Dame aus der Gruppe ihn plötzlich unterbricht und nach dem Wort „Truchseß“ fragt. Sie hatte das Schild „Truchseßgasse“ hinter ihm entdeckt.
„Pittjes“ hält einen Moment inne und erzählt dann eine Geschichte, die sich im Jahr 1583 in Attendorn und Umgebung zugetragen haben soll. Dazu muss man wissen, dass das zum Erzbistum und Kurfürstentum Köln gehörende Attendorn am Kreuzungspunkt zweier bedeutender Handelsstraßen – nämlich von Köln nach Leipzig und von Frankfurt am Main nach Norddeutschland – lag. Ein Machtzentrum, gefestigt durch die Verleihung der nach dem Rechtsvorbild Soest benannten „Soester Stadtrechte“ im Jahr 1222 durch Erzbischof Engelbert I., der damit seine Machtposition im südlichen Westfalen buchstäblich untermauerte. Denn damit war die Auflage verbunden, die Stadt mit einer Befestigungsmauer zu umgeben.
1577, im Alter von 30 Jahren, so ist zu erfahren, hatte Gebhard Truchseß, Freiherr von Waldenburg, die erzbischöfliche und kurfürstliche Würde von Köln erhalten. Ein wohl leidenschaftlicher Mann, der eine tiefe Neigung zur Gräfin Agnes von Mansfeld hatte, mit der er auch die Ehe eingehen wollte. Und sei es auch um den Preis, dass er dann auf die neuen Würden würde wieder verzichten müssen.
Doch da kam ihm der Gedanke, den schon viele Landesherren vor ihm gehabt hatten: Würde er die neue protestantische Lehre annehmen, die Martin Luther mit seinen 95 Thesen 1517 öffentlich gemacht hatte, konnte er trotz Heirat beide Würden behalten und eine Erbfolge für seine Familie begründen. Gedacht, getan, beurkundete er historischen Quellen zufolge am 23. Januar 1583 in Bonn seine Trennung von der katholischen Kirche und ließ sich nur wenige Tage später am 2. Februar mit seiner Liebe Agnes trauen.
Dass das weder Papst (Gregor XIII.) noch Kaiser (Rudolf II.) gefiel, weil das Macht- und Einflussverlust bedeutete, war klar. Und so kam es zu dem, was man später „Die Truchsessischen Wirren“ nannte: Krieg zwischen der katholischen Domkirche und Gebhard. Der berührte auch Attendorn. Denn aufgebracht durch seine Absetzung als Erzbischof und Kurfürst hauste Truchseß in Westfalen mit seinem bewaffneten Gefolge und suchte an mehreren Orten stürmisch den katholischen Religionsdienst abzuschaffen. So kam er am 13. Juli 1583 auch vor die Tore der Hansestadt – mit 50 Reitern – und begehrte Einlass, der ihm auch gewährt wurde. In Unkenntnis der wahren Stärke seines Heeres, das sich mit 350 Reitern und 200 Mann Fußvolk der Stadt bemächtigte.
In den Aufzeichnungen des Geschichtsschreibers Gerhard Kleinsorgen, dokumentiert im „Tagebuch der Truchsessischen Wirren im Herzogtum Westfalen 1583-84“ von Alfred Bruns, heißt es:
„Mittlerweil hat Truchseß sich mit seiner hausfrau erlustiget, den tag weidlich gesoffen, die nacht aber zu mehrmalen uber das markt und den kirchhoff mit ihr getanzet, auch durch etliche bergleute unzuchtige lieder singen lassen, auch selbsten mitgesungen. Damach hat er sich mit seinem Motthaeo in die kirche daselbst begeben und alle bilder und altarsteine mit vielen gewaltigen schlegen zerbrochen. Das gold und silber, so an den bildern gewesen, hat Motthaeus zu sich genommen.“
Schließlich gelang es den Attendornern, Truchseß zum Verlassen der Stadt zu bewegen, der dann gen Bilstein weiterzog. Die Stadt blieb katholisch.
Das weitere Geschehen gründet in einer Sage, die Stadtführer „Pittjes“ an dieser Stelle erzählt. Sie geht in ihrer bis dato ältesten Fassung auf einen Beitrag im Arnsberger Wochenblatt vom 8. März 1826 zurück. Stadtarchivar Otto Höffer gibt sie 1987 in „Vasenacht Fasslowend Karneval“, einer Publikation der örtlichen Karnevalsgesellschaft, so wieder:
„Der Kurfürst von Köln war mit den Attendornern uneinig geworden. Um sie wieder auf seine Seite zu bringen, zog er selbst nach Attendorn. Doch der Streit wurde nicht geschlichtet. Sie kamen so hart aneinander, dass der Kurfürst flüchten musste. Er zog mit seinen Getreuen bei Nacht und Nebel nach dem festen Bilstein. Die Attendorner spuckten Gift und Galle. Sie zogen gegen Bilstein, um den Kurfürsten zu fangen. Aber wer hatte geglaubt, dass die Burg so fest wäre. Eine ganze Woche hatten sie die Mauern berannt, dabei aber nicht anderes erreicht als blutige Köpfe.
Da, am siebten Tage zur Mittagsstunde lag oben auf der Fensterbank was Weißes. ,Sieh‘ sagte Hamberend zum Dirk, ,da liegt ein Mensch im Fenster; er hat eine weiße Mütze auf dem Kopf.‘ Da gibt es doch was zu schießen, dachte er. Er nahm den Bogen und legte ihn an die Backe. Gut getroffen; die Mütze rollte herunter.
Aber, o Herr, es war eine alte, weiße Katze, die in der warmen Mittagssonne ihr Schläfchen gehalten hatte. So mitten im Traum von Mäusen, Milchtöpfen und süßer Sahne hatte sie ihr Leben zu Füßen der Attendorner ausgehaucht.“
Die Bilsteiner sollen den abziehenden Attendornern voller Spott hinterhergerufen haben: „Da ziehen sie hin, die Kattfiller! (Katzenmörder).“
In Erinnerung an den legendären Katzenschuss ist ihnen dieser Beiname – allerdings ohne den spöttischen Beigeschmack von damals – bis heute erhalten geblieben. Mehr noch haben sie ihn sich selbst zu eigen gemacht. So nennt sich die örtliche Karnevalsgesellschaft „Die Kattfiller“ und klingt in der Karnevalszeit, statt „Alaaf“ oder „Helau“, ein dreifach-fröhliches „Katt-filler“ durch die Straßen und Gassen der Hansestadt, die dann so heißt, wie Stadtführer „Pittjes“ sie eingangs bei der Begrüßung der Besuchergruppe nennt: „Kattfilleria“.