Rund um den Vatikan leben viele Obdachlose, auch für sie ist der Winter eine Bedrohung. Als 2022 einer von ihnen erfriert, trauert selbst der Papst. Nun kehrt der Verstorbene zurück – auf einem umstrittenen Bild.
Dem Campo Santo Teutonico neben dem Petersdom ist ein Glanzstück in Sachen Kunst und Ökumene gelungen: Ab diesem Sonntag wird der berühmte Cranach-Triegel-Altar aus dem Naumburger Dom für zwei Jahre als Leihgabe in dem deutschsprachigen Zentrum in Rom gezeigt. Während die evangelische Gemeinde in Naumburg um ihren 2018 verliehenen Unesco-Welterbetitel kämpft, erhält das 1,3 Tonnen schwere und in den Augen der Unesco umstrittene Kunstwerk Asyl in der katholischen Kirche Santa Maria della Pietà im Schatten des Vatikans.
Die Vereinigten Domstifter Naumburg hoffen, dass sich in dieser Zeit eine Lösung für den aus mittelalterlichen und modernen Elementen geschaffenen Altaraufsatz finden wird, der den Unesco-Gremien zu dominant für den Standort im Westchor des Naumburger Doms erscheint. Die Mitteltafel des um 1520 von Lucas Cranach (1472-1553) geschaffenen Flügelaltars wurde im Zuge der Reformation zerstört und 2022 von Michael Triegel neu gestaltet. Doch nun thront das mächtige Kunstwerk erst einmal in der Apsis der kleinen Marienkirche in Rom – und es sieht aus, als wäre es für sie geschaffen.
Dass diese Geschichte auch ein anrührendes Detail um das Schicksal eines obdachlosen Deutschen bereithält, hatten vermutlich weder die Vertragspartner aus Sachsen-Anhalt noch die Erzbruderschaft des Campo Santo geahnt. Denn auf der Mitteltafel hat Triegel, der bereits Papst Benedikt XVI. (2005-2013) porträtierte und zum katholischen Glauben fand, viele Figuren nach realen Vorbildern verewigt; darunter seine 16-jährige Tochter als Maria, einen Juden an der Klagemauer als Paulus und: Burkhard Scheffler. Der Deutsche lebte seit etwa 2010 ohne festen Wohnsitz auf Roms Straßen und erfror im November 2022 nahe den Kolonnaden des Petersdoms im Schlaf.
Auch Papst Franziskus (2013-2025), der unermüdlich zur Hilfe für sozial benachteiligte Menschen aufrief, trauerte damals um den Mann. Er war trotz der Fürsorge kirchlicher Sozialarbeiter für die Obdachlosen rund um den Vatikan unbemerkt gestorben.
Für Schefflers Beisetzung wollte niemand aufkommen. Daher beschlossen die Verantwortlichen des Campo Santo Teutonico, den Mittellosen auf dem Friedhof zu beerdigen, wo seit rund 1.200 Jahren Pilger aus deutschsprachigen Ländern ihre letzte Ruhe finden. Dass Scheffler evangelisch war, spielte bei seiner spendenfinanzierten Beisetzung im Juni 2023 angesichts der für alle Christen gültigen Taufe keine Rolle. So ist der tragisch Gestorbene der einzige Protestant, der auf dem uralten baumbestandenen Friedhof begraben ist.
Und damit schließt sich ein Kreis: Während Scheffler unter einer schlichten Grabplatte direkt an der Kirchenmauer ruht, ist er ab sofort in der Kirche als Heiliger Petrus mit grauem Bart und roter Basecap auf Triegels Altar-Bild zu sehen. Ein erstaunlicher Zufall.
Der Kunsthistoriker Andreas Raub, der die Leihgabe maßgeblich initiiert hatte, sprach von einer unerwarteten Episode im Naumburger Bilderstreit. Campo-Santo-Rektor Peter Klasvogt verwies auf den eigentlichen Altar der Kirche von 1502, auf dem die um ihren Sohn trauernde Muttergottes dargestellt ist, und den Gast-Altar mit Maria und dem Jesuskind. Hier stünden sich Geburt und Tod in einem theologisch-existenziellen Zwiegespräch gegenüber.
Camerlengo Franco Reale erinnerte an die konfessionellen Spannungen, die vor rund einem halben Jahrtausend in der Frühphase der Erzbruderschaft in Deutschland herrschten. “Dass wir diesen Altar jetzt in ökumenischer Verbundenheit gastfreundschaftlich aufnehmen, ist eine ganz wunderbare Sache für uns als katholische Gemeinde.”
Organisatorisch passe die Leihgabe auch deshalb, da die Vorbereitungen für die fälligen Sanierungsmaßnahmen auf dem Gelände gerade abgeschlossen seien und man in den nächsten Wochen den Förderantrag stellen wolle, so der Jurist. Dafür hatte der Deutsche Bundestag bereits vor Jahren 16 Millionen Euro bewilligt.
Für Aufbau und Beleuchtung des Naumburger Altars kommt der Campo Santo auch mit Hilfe einer eigenen Stiftung auf. Die Versicherungssumme von rund zwei Millionen Euro teilt er sich mit den Vereinigten Domstiftern Naumburg. Und die Transportkosten übernahm das Land Sachsen-Anhalt.