Seit 2014 können Frauen unter Pseudonym entbinden und ihr Kind zur Adoption freigeben. Die Personalien werden hinterlegt, so dass das Kind mit 16 Jahren erfahren kann, wer es zur Welt gebracht hat.
Ein Brief, in dem die Mutter an ihr Kind schreibt, warum sie es zwar geboren, aber dann abgegeben hat; dass sie wünschte, es hätte eine andere Lösung gegeben; dass sie hofft, dass es ihm gut gehen möge. Vielleicht auch, dass sie sich freuen würde, es einmal kennenzulernen. Es sind Möglichkeiten wie diese, die bei einer vertraulichen Geburt der Mutter den Weg zum Kind offen halten sollen – auch noch Jahre später. Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland das Gesetz zur vertraulichen Geburt; seit 2014 haben nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums bundesweit mehr als 1.200 Frauen von dem Recht Gebrauch gemacht.
Gersom Rösler begleitet am Krankenhaus Waldfriede in Berlin schwangere Frauen, die eine vertrauliche Geburt anstreben. Jedes Jahr seien es im Durchschnitt vier Frauen, die dort unter solchen Bedingungen gebären, berichtet er.
Anders als bei einer anonymen Geburt nennt die Mutter dabei ihren tatsächlichen Vor- und Nachnamen, ihr Geburtsdatum und ihre Adresse nur einmal einem Berater von einer zertifizierten Schwangerenkonfliktberatungsstelle. Niemand sonst erfährt ihre Identität. Sie wird mit einem selbst gewählten Namen, einem Pseudonym, angesprochen. Die Daten werden dann beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hinterlegt – auch mit einem persönlichen Brief oder einem Foto, wenn die Mutter das möchte.
Wenn das Kind 16 Jahre alt ist, hat es den rechtlichen Anspruch, zu erfahren, wer seine leibliche Mutter ist. Diese kann auch schon vorher Kontakt zu ihrem Kind aufnehmen – unter der Voraussetzung, dass Vormund oder Adoptiveltern damit einverstanden sind.
Nach Einschätzung von Experte Rösler entscheiden sich die Betroffenen niemals leichtfertig für eine vertrauliche Geburt. “Es sind Frauen in Notsituationen, die das Beste für ihr Kind wollen”, sagt der Krankenhausseelsorger. Selbst wenn sie die Indikation für eine Abtreibung hätten, machten sie mitunter in der Praxis “auf dem Absatz kehrt” oder suchten diese erst gar nicht auf. “Sie wollen dem Kind das Leben schenken, auch wenn es in einer anderen Familie aufwächst”, so Rösler. “Und sie kommen zu uns, weil sie medizinische Sicherheit für sich und ihr Kind wollen.”
Anders als bei einer vollständig anonymen Geburt besteht beim Verfahren der vertraulichen Geburt die Möglichkeit in einem geschützten Rahmen dem Kontaktwunsch von Mutter und/oder Kind auch später noch nachzukommen.
“Es ist ein Weg, um den Frauen die Tür zu ihrem Kind offenzuhalten und ebenso dem Kind die Chance zu geben, die eigene Herkunft zu erfahren”, sagt der Berater. “Frauen sind daran interessiert diesen Weg eher in Anspruch zu nehmen als die vollständig anonyme Geburt.” Die Hürde sei oft niedriger. Bis 2014 gab es nur anonyme Geburten, etwa durch sogenannte Babyklappen, bei der Frauen ihr Kind nach der Geburt abgeben können.
Die Frauen, die im Krankenhaus Walfriede vertraulich geboren haben, leben “größtenteils in prekären Verhältnissen”, sagt Berater Rösler. Sie hätten zumeist zahlreiche Probleme, etwa finanzieller Art, hinzu kämen körperliche oder psychische Belastungen. “Viele sind ungewollt schwanger und sagen, dass sie die Verantwortung für ein Kind nicht übernehmen können. Das sind oft herzzerreißende Geschichten, die wir hören”. Manche kämen auch aus einem gefährlichen Umfeld, etwa der Prostitution.
Vorsorgeuntersuchungen nehmen Frauen, die ihre Schwangerschaft verbergen wollen, in der Regel nicht wahr; sie wird manchmal sogar dem eigenen Partner gegenüber geheim gehalten. “Das heißt, dass sie bei uns manchmal zum ersten Mal medizinisch in ihrer Schwangerschaft betreut werden.” Und auch erstmals entscheiden können, ob sie etwas über das Kind wissen möchten. Ob es ein Junge oder Mädchen wird, zum Beispiel.
Vor der vertraulichen Geburt werde auch geklärt, ob die Mutter direkt nach der Geburt das Kind gar nicht sehen – oder es einmal auf den Arm nehmen wolle. “Manche möchten sich so selbst vergewissern, ob es ihrem Kind gut geht”, erzählt Rösler. Danach würden Mutter und Kind räumlich getrennt; das Kind verbleibe auf der Säuglingsstation, während die Mutter anderweitig im Krankenhaus untergebracht oder entlassen werde. Hebammen sorgten für körperliche Nähe und Wärme bei dem Neugeborenem – “sie tragen es herum und herzen es”.
In dem Moment, in dem das Kind geboren ist, ist das Jugendamt der Vormund. Die Mutter hat aber vier Wochen lang ein “Zugriffsrecht”; auch, solange das Kind noch nicht adoptiert ist, kann sie es sich anders überlegen – “was auch vorkommt”, sagt Rösler.