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Das Wissen um die lebendige Seele fehlt

UK 45/2016, Pfarrbild (Leitartikel Seite 1: „Job? Berufung? Teilzeit?“;  Seite 5: „Streitpunkt Altsprachen“; Seite 7: „Pfarrbild – alt und neu“, „Nah an den Menschen“)
Wenn ich den Playmobil-Luther sehe, dann frage ich mich, ob damit nicht die Reformation in einen Lutheranismus gewendet wird. Aus der damaligen Befreiung wird heute eine Ideologie. Oder? Wo sind die Frauen? Wo wird Bonhoeffers Diktum gehört, dass der neue Mensch nicht akademischer Theologe, sondern die Gemeinschaft ist? Wo kommt darin das Wort des Gründers der ökumenischen Bewegung, Bischof Nathan Söderblom, vor, der sagte: „Die Zeit des Priesters ist vorbei, das waren Rom und die alte Kirche; die Zeit des Leviten ist vorbei, das waren Wittenberg und Genf. Heute hat das Zeitalter des barmherzigen Samariters angefangen!“
Ich möchte Luthers Wort „Ecclesia semper reformanda“ übersetzen: Wenn man dasselbe zu einer anderen Zeit sagt, ist es nicht dasselbe. Positiv: Wir müssen Gottes Befreiung in unserer Zeit glauben und in Bild und Lied und Tat bezeugen. Heute vertrauen viele Menschen den Wissenschaftspriestern und ihrer fatalistischen Logik. Jedoch diese Priester sind meist falsche Priester. Sie suchen uns zu berechnen und zu bestimmen aus Statistik und Algorhythmus, wie Pharaos Tempelpriester es taten aus den Umläufen der Gestirne. Sie behandeln die lebenden Menschen als Dinge und wissen nichts von der lebenden menschlichen Seele und von der wirkenden wirklichen Zeit – wie die falschen Voraussagen in der US- Wahl belegen.
In einem Brief des anglikanischen Pfarrers und ehemaligen Leiters des Versöhnungszentrums in Coventry (Nagelkreuzbewegung) an die evangelischen Kirchen in Deutschland  heißt es zu dem Thema:
„Meine ökumenische Erfahrung hat mich überzeugt, dass das Grundproblem im deutsch-evangelischen Raum in der starren Tradition liegt, dass der Pfarrberuf letztlich nur eines voraussetzt: eine theologisch-akademische Ausbildung. Wer sein zweites theologisches Examen bestanden hat und eine einigermaßen anständige Lebensführung im bürgerlichen Sinne nachweisen kann, ist ordinationsfähig und – jedenfalls bis vor kurzem – berechtigt, bis zum Ruhestand ein Pfarramt zu verwalten.
(…) Das wissenschaftliche Wort und nicht der lebende logos – Gott selbst – wird zur Wahrheit hochgespielt. Die Predigt des gelehrten Theologen wird zum Wesentlichen der christlichen Existenz erklärt.
Bezeichnend ist, dass der schwarze Talar und das Beffchen zur Reformationszeit die Kleidung des Gelehrten aller Disziplinen war und nicht ein geistliches Gewand. Nur ist leider die Relevanz aller Disziplinen für eine ganzheitliche Verkündigung der Wahrheit verloren gegangen. Als ob die Theologie (die angebliche Königin aller Wissenschaften!) alles erklären könnte. Darin liegt ein erschreckender kirchlicher Stolz, der die Schöpfungslehre völlig missachtet. Was bilden sich eigentlich die Theologen ein?…“
Thomas Dreessen, Gladbeck

Viele Pfarrer verlassen
die Gemeinden. Warum?
UK 45/2016, Pfarrbild (Leitartikel Seite 1: „Job? Berufung? Teilzeit?“;  Seite 5: „Streitpunkt Altsprachen“; Seite 7: „Pfarrbild – alt und neu“, „Nah an den Menschen“)
„Welche Pfarrer wollen wir?“, fragt UK. Die Gegenfrage lautet: „Welche Gemeinde will unser Pfarrer“?
Tatsache ist, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl von Pfarrern den Basisdienst an und in der Gemeinde verlässt, um andere Aufgaben im kirchlichen Bereich zu übernehmen. Da gibt es die kirchlichen Institute, die Beauftragten und Bevollmächtigten, es gibt die kirchlichen Werke der Diakonie, den kirchlichen Medienbereich und die Internetaktivitäten, in denen Pfarrer ihre Aufgabe sehen. Auch in Redaktionen der Kirchenzeitungen sind ordinierte Pfarrer tätig, natürlich auch in Kirchenleitungen und wohl auch in der Leitungsadministration.
Sie alle haben irgendwann mal in Ortsgemeinden gearbeitet, diesen Dienst aber aufgegeben. Warum, wo Pfarrer zu sein doch „kein Beruf ist wie jeder andere“? Liegt es an den Anforderungen in den Gemeinden? Ist die Dotierung für andere Aufgaben besser? Kann man so ungestörter sein privates (Familien-)leben führen?
Eins ist klar: Auf diese Weise gehen den Gemeinden nicht selten Pfarrtalente unwiederbringlich verloren. Das ändert sich auch nicht durch die gewiss begrüßenswerte Bereitschaft der abgewanderten Gemeindetheologen, auf Einladung hier und da Gastpredigten zu halten. Und andererseits: Ist es wirklich optimal, wenn in unserer inzwischen so differenzierten und spezialisierten Arbeitswelt (das gilt sicher auch im kirchlichen Bereich), Menschen tätig werden und Entscheidungen treffen, die eigentlich doch für eine ganz andere Aufgabe ausgebildet worden sind, nämlich als Pfarrer Dienst an und in der Gemeinde zu tun.

Matthias Siepmann, Gütersloh