Schweringen/Kr. Nienburg. Das Mikrofon rauscht und knistert noch etwas, doch dann ist die Stimme von oben deutlich zu hören. "Diese Glocke ist mit diesem Gottesdienst außer Dienst gestellt", schallt es über die Lautsprecheranlage vom Turm herab ins Kircheninnere. "Sie wird in der Form und Gestaltung, in der sie hier vor uns hängt, nie wieder erklingen", erklärt Arend de Vries, Geistlicher Vizepräsident des evangelischen Landeskirchenamtes in Hannover. De Vries ist mit vier Mitgliedern des Kapellenvorstandes hinauf zur Glockenstube der Kreuzkirche von Schweringen bei Nienburg gestiegen. Gemeinsam entwidmen sie hier oben die umstrittene "Vaterlandsglocke", die es zu einiger Berühmtheit brachte, weil sie ursprünglich ein Hakenkreuz und eine NS-Inschrift trug. Und weil einige Schweringer heimlich zur Tat schritten und das Nazi-Symbol mit einem Winkelschleifer wegfrästen.
Rund 70 Frauen und Männer sind am Abend des Buß- und Bettags in die Kirche gekommen, um den vorläufigen Schlusspunkt des Schweringer Glockenstreits zu besiegeln und zugleich ein neues Kapitel in der Geschichte der Glocke aufzuschlagen. Um des Friedens willen sind so gut wie alle einverstanden mit dem Kompromiss, den die Kirchenleitung in Hannover mit der Gemeinde ausgehandelt hat: Die rund 1.800 Kilo schwere Bronzeglocke mit dem tiefen "Cis" soll durch neue Symbole oder eine neue Inschrift künstlerisch umgestaltet werden. Dafür soll es einen Wettbewerb geben.
"Ein erbarmungsloes Zeichen"
Doch der Zwist bleibt: Manche hätten sich eine eindeutigere Lösung gewünscht. Die Floristin Ursula Cramer (52) etwa hätte es lieber gesehen, wenn die Glocke gegen eine neue ausgetauscht worden wäre, wie es die Landeskirche angeboten hatte. "Man kann nicht von Erbarmen singen, wenn oben ein erbarmungsloses Zeichen hängt", sagt sie. Und auch ihr Mann Tomas (51), Beamter und Krimi-Autor, ist der Meinung, dass die Glocke aus Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus besser abgehängt worden wäre.
Auf der anderen Seite wollen viele alteingesessenen Schweringer den vertrauten Klang ihrer Glocke unbedingt behalten. "Ich bin Ur-Schweringerin und kenne die Kirche ohne diese Glocke nicht", sagt Christiane Noltemeier (61), Erzieherin und Vorsitzende des Kapellenvorstandes. Und ihr Stellvertreter Heinrich Eickhoff (50), hauptberuflich im Straßenbauamt tätig, mahnt den Respekt vor den älteren Generationen an, die ihre Kirche um 1920 in Eigenleistung errichtet und die Glocke durch ihre Spenden bezahlt hätten.
Über ein Jahr lang prallten die Meinungen schroff aufeinander. Beschlüsse wurden gefasst und wieder verworfen. Die Situation war so angespannt, dass Unbekannte kurz vor Ostern unbemerkt auf den Turm kletterten und das 35 mal 35 Zentimeter große Hakenkreuz und Teile der NS-Inschrift wegschliffen. "Aus Not und aus Nacht ist Deutschland erwacht", stand dort zu lesen. "Dies Kreuz gab Gelingen, Half Zweitracht bezwingen. Dank sei dir Gott."