Buße ist das erste Wort der Reformation. „Als unser Herr Jesus Christus sagte: ,Tut Buße‘, da meinte er, dass unser ganzes Leben eine Buße sein solle“, lautet die erste von Luthers 95 Thesen. Dabei sollte es ausweislich der Bekenntnisschriften der lutherischen wie der reformierten Kirche auch bleiben.
Hat jemand, der sich mit der evangelischen Kirche in Deutschland in „Reformationsdekaden“ auf den Weg zum Reformationsjubiläum gemacht hat, schon einmal etwas von „Buße“ oder von „Beichte“ gehört? Das Wort „Buße“ taugt heute offenkundig nicht dazu, für das Anliegen der Reformation zu werben. Es klingt so negativ. Wir denken da an „Bußgeldbescheide“. Uns fallen Strafen ein, die Menschen „abbüßen“ müssen.
„Buße“ klingt nach Demütigung
„Buße“ klingt erniedrigend und demütigend. Den Eindruck, dass die christliche Botschaft Menschen kleinmachen möchte, möchte unsere Kirche darum auf keinen Fall erwecken. Die persönliche Beichte der eigenen Sünden, in der die Buße konkrete Gestalt gewinnt, zählt darum nicht zu den Anliegen, die mit dem Reformationsjubiläum befördert werden sollen.
Für Luther und die anderen Reformatoren aber gehörte die Beichte, in der ein Mensch seine Sünde bekennt und den Zuspruch der Vergebung der Sünde empfängt, zu einem wahrhaftigen christlichen Leben. Ohne die konkret ausgedrückte Reue über die Verfehlungen gegenüber Gott und den Menschen war für sie der Zuspruch der Vergebung, der die „Freiheit eines Christenmenschen“ begründet, nur Schall und Rauch. Ist er heute auch nur noch Schall und Rauch, wo die Einladung zur Beichte in fast keinem Gemeindebrief zu finden ist?
Natürlich ist dieser Zustand dadurch befördert worden, dass „Beichten“ als etwas „Katholisches“ gilt. Doch die Reformatoren haben nicht die Beichte als solche, sondern den Beichtzwang, die Nötigung der Aufzählung von Einzelsünden und die Verordnung aller möglichen Bußleistungen kritisiert.
Ihnen blieb die Beichte wichtig, weil sie einprägte, dass die Rechtfertigung sündiger Menschen durch Gott konkret im Leben von Christinnen und Christen ankert. Es ist für uns als leib-seelische Wesen auch wichtig, dass die Rechtfertigung ausweisbar in unserer geschichtlichen Existenz Fuß fasst. So, wie die Sünde der Gottesferne im Äußerlichen ihr Werk tut, soll ihr auch ein Damm im Äußerlichen, im lauten Bekenntnis der Sünde und im lauten Freispruch entgegengesetzt werden.
Rechtfertigung wird bei der Beichte darum zu einem Datum in der Biographie, die so zum Leben eines Menschen gehört, wie die Hochzeit oder der Berufsanfang. Es vergisst sich nicht mehr, wenn ein Mensch zu dir in der Vollmacht Jesu Christi gesagt hat: „Ich spreche dich im Namen Gottes frei von dem, was du im Vergessen Gottes mit deinen Gedanken, Worten und Werken angerichtet hast. Dich braucht das Vergangene nicht mehr zu quälen. Vor dir liegen offene Horizonte, in die du aufbrechen kannst.“
Wem sich das Erlebnis der Beichte so in sein Leben eingekerbt hat, für den verliert sie das Düstere, das mit dem lutherischen Buß- und Beichtverständnis zweifellos auch verbunden ist. Man kann verstehen, warum viele Gemeinden Luthers angebliches Beichtbekenntnis (das gar nicht von ihm stammt) vor dem Abendmahl nicht mehr sprechen möchten.
Vor Gott steht ein freier Mensch
Denn nicht ein „armer, elender, sündiger Mensch“, der Gottes Strafen „zeitlich und ewiglich verdient hat“, steht da vor Gott, sondern ein freier Mensch, der sich ohne alle Angst aufrichtet. Er ist im Vertrauen auf Gottes Güte fähig, auszusprechen, wie es in Wahrheit um ihn steht. Beichte, in welcher die Buße konkret wird, ist ein Akt der Freiheit.
Denn die Sünde, hat Dietrich Bonhoeffer gesagt, „will unerkannt bleiben. Sie scheut das Licht. Im Dunkel des Unausgesprochenen vergiftet sie das ganze Wesen des Menschen. […] Die ausgesprochene bekannte Sünde (aber) hat alle Macht verloren.“ Wer seine Sünde bekennt, duckt sich also nicht nieder, er richtet sich auf. Er freut sich, wahrhaftig sein zu können. „Nun darf er Sünder sein“, hat Bonhoeffer etwas zugespitzt gesagt.
Der Autor ist Professor für systematische Theologie an der Humboldt Universität in Berlin.