Reißende Flüsse, Schlamm und Gewalt: Der Darién-Dschungel zwischen Kolumbien und Panama gilt als besonders gefährlich. Dennoch sind die rund 100 Kilometer Urwald inzwischen die wichtigste Migrationsroute in Richtung USA. Etwa eine halbe Million Flüchtlinge nahmen im vergangenen Jahr das Risiko der Strecke auf sich – so viel wie noch nie. Die Menschen sind dort nicht nur der unwirtlichen Natur ausgeliefert, sondern auch bewaffneten Banden. Migrantinnen und Migranten, die in Panama angekommen sind, berichten von Raub, Vergewaltigung und sogar Mord.
Die meisten von ihnen stammen aus Venezuela, gefolgt von Ecuador und Haiti. Viele Familien mit Kleinkindern sind unterwegs, Schwangere und unbegleitete Minderjährige – alle angetrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Mindestens sechs Tage müssen sie sich durch den dicht bewachsenen Regenwald mit steilen Berghängen und Flüssen kämpfen.
Während vor rund zehn Jahren nur wenige Tausend Menschen die Landenge durchquerten, stieg die Zahl nach der Corona-Pandemie rasant an. 2022 waren es 248.000 Migranten, ein Jahr später doppelt so viele. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erwartet in diesem Jahr sogar bis zu einer Million Geflüchtete auf der Darién-Route. Eine Lösung sei nicht in Sicht. „Die beste Möglichkeit, den Exodus zu beenden, ist Wohlstand in den Herkunftsländern“, sagte der Linkspolitiker. Grenzschließungen lehnt er ab.
Der Zusammenbruch der Wirtschaft in Venezuela ab 2013 hat eine enorme Flüchtlingskrise in Lateinamerika ausgelöst. Rund 7,3 Millionen Menschen verließen bislang das Land. Etwa sechs Millionen haben in Lateinamerika Zuflucht gefunden, die meisten in Kolumbien. „Zunächst waren sie als billige Arbeitskräfte willkommen“, sagt Friedrich Kirchner von Caritas International. 80 Prozent von ihnen hätten in informellen Jobs gearbeitet. Doch während der Corona-Pandemie haben die meisten ihre Arbeit verloren. „Direkt nach der Pandemie ist die Darién-Route wieder erstarkt.“
Die Gegend wird schon seit Jahren vom Golf-Clan kontrolliert, einer kriminellen Organisation ehemaliger Paramilitärs, die sich mit Drogen- und Menschenhandel finanziert. Entlang der Route hat sich ein ganzer Wirtschaftszweig entwickelt. Gemeindevertreter, Polizei, lokale Drogenbarone und zahlreiche Händler verdienen an den Migranten. Rund 2.000 US-Dollar (etwa 1.828 Euro) müssen sie bezahlen, bevor sie ihren Marsch durch den Dschungel beginnen.
Ausgangspunkt sind die kleinen Gemeinden Necoclí und Acandí im äußersten Norden Kolumbiens an der Karibikküste. Sobald die Menschen dort seien, gebe es kein Zurück mehr, sagt Kirchner, der die Lage vor Ort genau kennt.
Die Straßen in der Kleinstadt Necoclí sind voll von Verkaufsständen, die Gummistiefel, Taschenlampen oder Regenkleidung anbieten – alles, was für den Weg gebraucht wird. Pensionen sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, jede Garage wird den Migranten als Unterkunft angeboten.
„Wir haben alles organisiert: die Bootsführer, die Führer, die Gepäckträger“, brüstet sich Darwin García, ehemaliger Stadtrat in Acandí, in einem Interview. Er spricht von einem „humanitären Service“. Das Geschäft mit der Not der Flüchtenden ist so einträglich wie nie zuvor. Auch der Golf-Clan verdient kräftig mit, laut der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) mehr als 30 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Nach Acandí können die Migrantinnen und Migranten nur per Boot gelangen, es ist ihre letzte Station vor dem Marsch durch den Regenwald. Eine „Gebühr“ von 170 Dollar müssen sie für die Passage bezahlen. Jeden Morgen bricht ein Treck mit rund 2.000 Menschen auf. Ein Führer bringt die Menschen bis zur Grenze mit Panama. Die weitaus gefährlichere Route liegt dann noch vor ihnen.
Nach HRW-Angaben sind zwischen 2014 und 2023 mindestens 253 Menschen bei der Darién-Durchquerung gestorben. Sie wurden von den Fluten der Flüsse mitgerissen oder von kriminellen Banden ermordet, weil sie kein Geld mehr bei sich hatten. Mehr als 1.000 Fälle von Vergewaltigungen zählte die Organisation.
In Panama ist das Camp Lajas Blanca der erste Zufluchtsort. Für die Weiterreise an die Grenze zu Costa Rica stehen Busse bereit – natürlich nur gegen Bargeld. Panama fühlt sich vom Ansturm der vielen Menschen komplett überfordert. Die Regierung will die Migranten so schnell wie möglich außer Landes schaffen. Das Geschäft mit den Flüchtlingen geht auch da weiter.